domradio.de: Fangen wir mal ganz von vorne an: Was ist eigentlich "katholische Diaspora"? Gibt es das auch in Köln?
Monsignore Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerkes): Das kennen Sie, glaube ich, auch in Köln. Es gibt verschiedene Gesichter der Diasporasituation (Anm. d. Red.: Diaspora: religiöse, nationale, kulturelle oder ethnische Gemeinschaften in der Fremde). Das eine ist die zahlenmäßige Diaspora, wo Menschen in einer Minderheitensituation leben, vor allem in Ost- oder in Norddeutschland. Dort gehören etwa 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung keiner christlichen Kirche an und etwa drei bis fünf Prozent der Menschen dort in den verschiedenen Regionen sind katholisch, sei es in Görlitz, in Dresden, in Berlin oder in Erfurt.
Aber wenn wir nach Nordeuropa schauen, da leben in den Gemeinden, obwohl es eben Gemeinden im Aufbruch sind, zwischen ein und drei Prozent Katholiken – aber in riesengroßen Entfernungen. Ich bekomme gleich Besuch von dem Bischof von Island. Dort gibt es beispielsweise eine Gemeinde im Durchmesser 700 Kilometern mit 700 Katholiken. Das sind häufig Migranten, Flüchtlinge und Einwanderer, sodass über hundert Nationen dazugehören – eine sehr junge und internationale Kirche.
Die Situation von Diaspora, die Sie vielleicht in Köln oder auch wir als Bonifatiuswerk hier in Paderborn kennen, ist eher eine emotionale Diasporasituation. Denn wir erleben, dass es in München unter 50 Prozent Christen gibt. Aber emotionale Diasporasituation heißt, dass wir immer mehr erleben, dass auch in traditionell katholisch geprägten Gebieten weniger Menschen den Glauben praktizieren und ich mir dann auch manchmal allein vorkomme. Das zeigt, dass Diaspora sehr unterschiedliche Gesichter hat.
domradio.de: Kommen wir zu der Diaspora in Erfurt, wo die Diaspora-Aktion läuft. Was findet denn da statt?
Austen: Wir werden zunächst den Gottesdienst feiern mit Bischof Neymeyr und internationalen Gästen aus Lettland, aus Island und einem Vertreter der Landesregierung. Professor Sternberg wird uns den Festvortrag halten. Wir werden über die Projekte berichten, die wir als Bonifatiuswerk unterstützen – dank der Spender und Spenderinnen. Wir unterstützen jährlich etwa 900 Projekte in unterschiedlichsten Formen.
Wir werden natürlich Möglichkeiten zum Treffen und Kennenlernen haben. Aus ganz Deutschland kommen Vertreter und Vertreterinnen aus unterschiedlichen Regionen der Diaspora. Wir werden auch einen lettischen Frauenchor zu Gast haben. Es wird ein Tag der Begegnung, der Information, aber auch des Gebetes, an dem wir auch ermutigen wollen, Interesse an der Diaspora zu zeigen.
domradio.de: "Keiner soll alleine Glauben. Unsere Identität: Segen sein" – so heißt das Leitwort der diesjährigen bundesweiten Diaspora-Aktion. Wie können Katholiken in der Diaspora denn Segen für andere sein?
Austen: Das heißt ganz konkret, dass wir zunächst einmal selbst gesegnet sind und wir zum Segen für andere werden sollen. Wenn ich höre: "Du bist ein Segen", kann sich das ganz konkret für mich ausdrücken, indem ich mich dem anderen zuwende, wie ich mit dem anderen umgehe und wie ich über den Glauben auskunftsfähig bin. Miteinander können wir auch sehen, wie wir Menschen, die in Notsituationen sind – sei es in einer materiellen oder seelischen – im Alltag zur Seite stehen können.
Wir als Bonifatiuswerk betätigen uns in Kinderhospizdiensten, in Schulen, die wir unterstützen, in kirchlichen Räumen. Wir helfen, zum Segen zu werden durch die "Boni-Busse", mit denen Leute zum Gottesdienst kommen können oder Kinder- und Jugendarbeit geschehen kann. Von ihnen fahren etwa 600 in Deutschland. Auch Seelsorgestellen werden als Projektstellen unterstützt. So passiert eine ganze Menge an einzelnen Orten – zum Segen für die Menschen. Das geht nur durch die Menschen, die diese Aktion unterstützen.
domradio.de: Sie haben es schon gesagt: Man kann ideell, aber auch ganz konkret ein Segen für andere sein – dafür gibt es auch eine Kollekte der Diaspora-Aktion. Gibt es dafür ein konkretes Projekt, oder was machen Sie mit dem gesammelten Geld?
Austen: Der Diaspora-Sonntag ist am 19. November in den Gemeinden in ganz Deutschland. Wir stellen immer ein konkretes Projekt vor: Hier geht es um ein Familienzentrum in Lettland, das wir mit unterstützen. Damit Familien christlich leben können, aber auch damit sie begleitet werden können. Wir unterstützen aber auch viele andere Projekte.
Derzeit ist es zum Beispiel eine Kirche in Södertälje, die am 8. Dezember für chaldäische Flüchtlinge eröffnet wird. Wir unterstützen mit dem Geld aber auch religiöse Kinder-Wochen, bei denen jedes Jahr 17.000 bis 18.000 Kinder in den ostdeutschen Diözesen mitmachen, um etwas über den Glauben zu erfahren und Glaubensgemeinschaft zu erleben. Ebenso auch Kindertagesstätten vor Ort.
Aber viele caritative und diakonale Projekte bekommen gerade in Diasporasituationen, in denen man eine Minderheit ist, eine Strahlkraft, weil das Evangelium Hand und Fuß bekommt und wirklich ein Segen für die Menschen ist – egal, ob sie zur Kirche gehören und getauft sind, oder nicht. Sie können nachfragen, warum wir das tun, und so etwas über den Glauben und die christliche Botschaft erfahren.
Das Interview führte Heike Sicconi.