domradio.de: Die meisten "Deals" sollen formal korrekt gewesen sein, weil das Geld in sogenannten "Steueroasen" angelegt wurde. Kann man auch, wenn alles legal ist, moralisch das Falsche tun?
Prof. Peter Schallenberg (Moraltheologe und Sozialethiker an der Theologischen Fakultät in Paderborn): Ja, das ist durchaus möglich. Wir kennen, spätestens seit Immanuel Kant, die Trennung zwischen Legalität und Moralität. Wir kennen in der Volkssprache auch das Wort "legitim". Wenn etwas "legitim" ist zu tun, meinen wir damit die Überschneidung zwischen moralisch und legal. Das ist die Frage, die man sich im Gewissen stellt: Ist es wirklich gut, alles das auszunutzen, was vom Gesetz her nicht verboten ist? Legalität meint das, was das Gesetz erlaubt. Moralität meint das, was das Gewissen erlaubt. Das ist durchaus nicht identisch.
domradio.de: Gibt es denn sowas wie einen Kompass, an dem man sich als Privatperson oder als Firma orientieren kann, um eine Balance hinzubekommen zwischen legitimer Steuerersparnis und Schaden am Allgemeinwohl?
Schallenberg: Ganz gewiss. Der erste Kompass ist die goldene Regel, die wir auch im Alten und Neuen Testament haben: Handle so, wie auch du behandelt werden möchtest. Das ist von Kant mit dem kategorischen Imperativ dann weiter ausgefeilt worden: Handle so, dass die Maxime deines Handelns allgemeines Gesetz werden könnte. Handle also nicht nur individualistisch auf dein eigenes Interesse ausgerichtet, sondern frage dich: Wenn alle so handeln würden, würde das gut sein?
Damit ist, glaube ich, in dieser Frage eine sehr deutliche Richtung angegeben worden und der Kompass schlägt deutlich aus. Man kann sich fragen: Wollen wir wirklich, dass sich viele Menschen Steuerschlupflöcher suchen? Das wollen wir nicht. Man muss doch bei aller Missmut sagen, dass die Steuer in unserem Land zum allergrößten Teil in Zwecke des Allgemeinwohls gehen. Damit werden Dinge für die Allgemeinheit finanziert und deswegen wollen wir, dass alle Steuern zahlen. Die Frage stellt sich nicht nur Privatpersonen, sondern eben auch Firmen. Bei Firmen erhebt sich eine neue Fragestellung.
domradio.de: Die meisten Privatpersonen haben ja nicht die Möglichkeit, dass internationale Kanzleien ihr Einkommen "kleinrechnen". Warum haben vor allem reiche Personen und Unternehmer die Möglichkeit dazu?
Schallenberg: Bei Firmen sieht das eben so aus, dass der Staat scheinbar in Bezug auf Steuerzahlungen großzügiger ist. Das hat damit zu tun, dass wir versuchen, ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen. Das heißt, der Staat geht davon aus, dass insbesondere größere Unternehmen investieren und dass dadurch Arbeitsplätze und eine blühende Industrie- und Produktionslandschaft entstehen. Das wollen wir. Das wollen auch unterschiedliche Staaten in Europa.
Deswegen haben wir unterschiedliche Steuersätze. In der Slowakei sind die sehr viel niedriger zum Beispiel, als bei uns. Damit soll verhindert werden, dass Industriebrachen entstehen und deswegen werden Investoren mit solchen Steuervergünstigungen angezogen. Es ist deswegen zunächst nicht illegitim und unrechtmäßig, dass der Staat über Privatpersonen hinaus, Steuervergünstigungen an Unternehmen ausgibt. Es ist aber nicht legitim, wenn Steuerschlupflöcher, wie in diesem Fall der "Isle of Man" benutzt werden. Das wäre noch einmal ein Sonderproblem in der Europäischen Union, dass die "Isle of Man" sich nicht in einem steuerpolitischen und staatspolitischen Niemandsland bewegt. Das müsste geklärt werden.
domradio.de: Ein Jahr lang haben hunderte von Journalisten recherchiert. Die Datensätze haben sie zugespielt bekommen. Ist die Verwendung von solchen Informationen aus unklarer Herkunft überhaupt legitim?
Schallenberg: Das wird immer wieder bei solchen Fällen gefragt. Dadurch wird die Frage nicht falsch, aber es widerspricht etwas dem Grundrechtsbewusstsein, etwas mit schlechten Mitteln zu einem guten Ende zu führen. Bei der Verwendung der Steuerdaten-CDs aus der Schweiz, war das schon einmal die Frage gewesen. Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Man kann sich auf den ganz reinen Rechtsstand stellen und sagen, ein gutes Ziel heiligt niemals schlechte Mittel.
Ich persönlich würde in diesem Fall etwas - wenn Sie so wollen - jesuitisch-flexibler argumentieren. Ich würde sagen, es handelt sich nicht um ein in sich schlechtes Mittel, also es geht nicht um die Tötung eines Menschen oder um direkte Instrumentalisierung von Menschen. Es handelt sich um Sachgüter, die auf bestimmte Weise entwendet wurden und jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Da sie ohnehin der Öffentlichkeit zustehen, ist das sozusagen ein am Rande befindliches legitimes Vorgehen und ich würde das für gerechtfertigt halten.
Das Interview führte Tobias Fricke.