domradio.de: Soll ich etwas geben, wenn ich angebettelt werde?
Monika Kleine (Geschäftsführerin des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF)): Ich glaube, "sollen" ist nicht der richtige Ansatz. Wenn wir durch die Straßen gehen und die Menschen da stehen oder sitzen sehen, dann ist doch immer die Frage: "Lasse ich mich ansprechen?" Dann gibt weder ein zwingendes Muss, noch ein zwingendes Nein. Es hängt immer davon ab, ob ich mich berühren lasse von dem Blick, von dem Anblick. Ich finde es entscheidend, dass man auch ein "Nein" in sich haben darf. Es ist nicht zwingend so, dass jedem, der auf Straße sitzt, von mir geholfen werden muss.
domradio.de: Wenn ich mich aber berühren lasse – was ist denn dann angemessen? 50 Cent oder zwei Euro?
Monika Kleine: Es gibt auch da keine absolute Maßgabe. Ich finde, da sollte jeder auf den Impuls schauen, den er oder sie gerade hat. Ich kann einen Euro geben, ich kann auch zwei Euro geben. Manchmal ist aber viel entscheidender, dass ich die Menschen anschaue, kurz mit ihnen Blickkontakt aufnehme und ihnen dadurch signalisiere: "Ich habe dich wahrgenommen". Das ist auch etwas, was beim Betteln hilft: Die Menschen nicht ignorieren, sie nicht links liegen lassen!
domradio.de: Gerade wenn es um Roma geht, denken viele sofort: "Da stecken doch Banden hinter, der muss gleich eh alles an seinen Boss weitergeben, da brauche ich eh nichts geben!" Was sagen Sie dazu?
Monika Kleine: Es wird immer schnell behauptet, dass alle, die ein südliches Aussehen haben, in Banden organisiert sind. Das ist nicht so. Es gibt Bandenbildung – keine Frage. Aber es gibt auch sehr viele Einzelpersonen, die versuchen, Geld zu erbetteln, damit sie ihren Familien im Heimatland helfen können. Deshalb wäre auch hier eine pauschale Bewertung vollkommen unangemessen. Es gilt auch hier das Prinzip: Wenn ich mich angesprochen oder angerührt fühle, dann ist es kein Fehler, etwas zu geben.
domradio.de: Andere fragen sich, ob sie dem, der da bettelt, nicht lieber ein Brötchen oder eine Banane kaufen sollen. Ist das sinnvoll - Sachspenden statt Geld?
Monika Kleine: Diese Frage stellen sich natürlich viele. Viele denken auch: "Wenn ich Geld gebe, fließt das bestimmt sofort in Alkohol." Das hat natürlich so einen bewertenden Maßstab. Schwierig wird es, wenn die Person schon das zehnte Brötchen bekommt und das dann im Müll landet. Eigentlich ist doch das Beste, ich frage die Menschen, ob sie etwas zu essen brauchen oder zu trinken. Und ja, wenn man ihnen Geld gibt, fließt das manchmal oder auch häufig in Alkohol. Aber das Leben auf der Straße ist auch so anstrengend und so belastend, dass es manchmal dieses Mittel braucht, um es überhaupt ertragen zu können.
domradio.de: Eine weit verbreitete Haltung ist auch: "Bei uns in Deutschland gibt es doch genug Hilfen für Arme - betteln müsste keiner, da gebe ich mal nichts!" Was würden Sie dem entgegnen?
Monika Kleine: Na ja, die Gründe, warum Menschen auf der Straße sitzen und betteln sind vielfältig. Zum Teil haben sie keinen oder nur sehr geringen Anspruch. Wenn ich gerade an die Südosteuropäer denke, die haben tatsächlich keinen wirklichen Anspruch auf Sozialleistungen und außerdem eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten.
Andere hätten Ansprüche, aber aus verschiedenen Gründen machen sie die nicht geltend und haben dann auch nichts. Andere leiden auch unter einer relativen Armut, haben bestimmte Sozialleistungen, können aber mit dem Geld , was sie bekommen, überhaupt nicht teilhaben am Leben. Es gibt also Hilfeleistungen, aber nicht alle haben gleichermaßen Zugang dazu. Deswegen steht hinter jedem einzelnen Bettler eine sehr komplexe Geschichte, die eben nicht mit pauschalen Einordnungen zu bedienen ist.
Das Gespräch führte Tobias Fricke