domradio.de: Wie genau geht es Ihnen mit dieser Vertagung? Glauben Sie noch an Jamaika?
Prälat Karl Jüsten (Leiter des katholischen Büros in Berlin): Ich finde es zunächst mal gut, das vertagt und nicht abgebrochen wurde. Das zeigt doch, dass alle Verhandlungsparteien sehr intensiv und sehr gewissenhaft an die Sache herangehen. Wenn man die ersten Stellungnahmen nach den Verhandlungen heute Nacht hört, dann merkt man ja bei allen Parteien, dass sie sich darum bemühen, dass es zu einer stabilen Regierung kommen kann. Im Endeffekt weiß man es natürlich nicht.
Ich glaube, nach so langer Zeit wäre es für alle Parteien im Deutschen Bundestag kein gutes Signal, wenn es nicht zu einer Regierung kommen sollte. Und nachdem die SPD ja gesagt hat, dass sie in die Opposition möchte, sehe ich ehrlich gesagt auch keine andere Konstellation als diese.
domradio.de: Gucken wir mal aus christlicher Perspektive auf die Inhalte: Der Hauptstreitpunkt ist der Familiennachzug bei Flüchtlingen. Die CSU hat sich deutlich dagegen positioniert – und dass, obwohl Familie gerade im christlichen Sinn eine so große Bedeutung hat. Wie passt das zusammen?
Jüsten: Das weiß ich auch nicht. Ich verstehe die CSU an einigen Stellen ehrlich gesagt auch nicht. Sie fordert die Mütterrente und den Ausbau der Familienleistungen - was wir sehr unterstützen. Aber dann, meine ich, darf man nicht Familien, die auf der Flucht sind, auseinanderreißen und sie damit im Grunde genommen besonderen Gefahren aussetzen. Ich denke auch, dass Kompromisse an der Stelle möglich wären. Die Verhandlungsführer haben ja auch alle Optionen durchgespielt.
Es ist natürlich schwierig: Wenn die sich alle auf ein so hohes Ross gesetzt haben und die roten Linien so rot gezogen haben, dass man da nicht von runterkommt, dann müssen die handelnden Personen ja zurückrudern, wenn sie sich auf Kompromisse einlassen. Die meisten haben natürlich dann die Angst, vor ihrer eigenen Partei als Umfaller dazustehen.
Aber davor würde ich sie eigentlich behüten wollen. Denn zum Wesen der Demokratie gehört es, dass man auf den anderen zugeht, dass man auch mal unterliegen kann in einer Auffassung und dass man dann trotzdem für seine Ideale weiterkämpft. Von daher: Ich glaube, es wäre eher eine Stärke von Politikern, wenn sie vor ihre Partei treten können und sagen können: Um des gemeinsamen Zieles willen mussten wir an dieser und jener Stelle Kompromisse machen.
domradio.de: Aber auch sowas gab es ja tatsächlich schon – in Sachen Klimaschutz zum Beispiel, was die Reduzierung der Kohlestrom-Produktion angeht. Was halten Sie davon?
Jüsten: Deutschland ist bei diesem Thema ja bereits internationale Verpflichtungen eingegangen, kann also gar nicht anders als im Grunde genommen dieses Ziel zu erreichen. Und auch da ist es im Endeffekt nur eine Frage des Weges.
Wir als Kirche glauben, dass die Kohle nicht nur endlich ist, weil sie begrenzt in der Erde liegt, sondern auch, weil sie die Ressource Luft zu stark verbraucht. Der Papst hat ja in seiner Enzyklika "Laudato si" eindeutig gesagt, dass auch die Luft zum Gemeinwohl gehört und dass man sie nicht ohne weiteres zerstören darf. Deshalb muss man alles dafür tun, Energieträger zu vermeiden, die die Ressource Luft verbrauchen.
Das Interview führte Verena Tröster.