Buch beleuchtet Konflikte um die Haltung der Kirche in NS-Zeit

Der Stellvertreter und die Stellvertreterkriege

Nach 1945 galt die katholische Kirche als einzige Institution, die die NS-Zeit glaubwürdig überstanden hatte. Doch das änderte sich: Bis in die 1980er Jahre gab es Konflikte über ihre Rolle. Ein Historiker erklärt, warum.

Autor/in:
Christiane Laudage
Urnenbeisetzung des 1942 im KZ Dachau gestorbenen katholischen Priesters Georg Häfner / © Diözesanarchiv Würzburg (epd)
Urnenbeisetzung des 1942 im KZ Dachau gestorbenen katholischen Priesters Georg Häfner / © Diözesanarchiv Würzburg ( epd )

Als am 20. Februar 1963 das Erstlingswerk eines jungen Autors in der Freien Volksbühne Berlin aufgeführt wurde, brach ein Sturm los. Die Aufführungen von "Der Stellvertreter" wurden von empörten Demonstrationen begleitet, es gab Bombendrohungen, und der Autor erhielt tausende Hass-Briefe, zum Teil mit Todesdrohungen.

Rolf Hochhuths Drama hat das bis dahin positive öffentliche Bild von Papst Pius XII. (1939-1958) nachhaltig zerstört. Seitdem wird der Papst generell auf die Frage reduziert: Warum hat er angesichts der unglaublichen Greuel der Nazis geschwiegen?

Die Auseinandersetzungen um den "Stellvertreter" waren der Ausgangspunkt von heftigen Diskussionen über die Rolle der katholischen Kirche in der Nazizeit - und die wiederum sind das Thema eines gerade erschienenen Buches des US-Historikers Mark Edward Ruff.

Nach elf Jahren Forschung, die ihn in 27 Archive in sechs Ländern führten, hat er eine spannende Analyse vorgelegt.

Stellvertreterkriege

Warum traf es die katholische Kirche mit voller Wucht und nicht die protestantische, die viel tiefer in den Nationalsozialismus verstrickt war? Im Gegensatz zu den Protestanten war und ist die katholische Kirche klar von oben nach unten strukturiert. Päpste und Bischöfe waren einer großen Öffentlichkeit bekannt. Die Massenmedien taten sich leichter, deren Rolle zu hinterfragen.

Ruff spricht von Stellvertreterkriegen: Es ging nur vordergründig um die NS-Vergangenheit, sondern vielmehr um den Einfluss der katholischen Kirche auf die Nachkriegspolitik und ihre Rolle in der modernen Gesellschaft. In der Bundesrepublik waren die Katholiken nicht mehr länger eine Minderheit wie im protestantisch geprägten Deutschen Reich, sondern stellten fast die Hälfte der Bürger.

Katholiken waren zudem in der Regel CDU-Wähler und übten über die CDU eine dominierende Rolle auf die politische Kultur aus. Konkrete Auseinandersetzungen entzündeten sich etwa an der Trennung von Staat und Kirche, den Konfessionsschulen und der Wiederaufrüstung. Kritiker warfen der Kirche vor, Liberalismus, Sozialismus und das Ethos der Demokratie abzulehnen.

Auseinandersetzungen um die Rolle der Kirche im Dritten Reich kamen deshalb laut Ruff wie gerufen, um den Einfluss der Katholiken zu schwächen: So ging es beispielsweise um die Frage, ob der Heilige Stuhl 1933 das Ende der Weimarer Republik beschleunigte, um mit dem NS-Staat das Reichskonkordat abschließen zu können? Hatte der Vatikan die Zentrumspartei gedrängt, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen, und die deutschen Bischöfe gezwungen, ihre Warnungen vor dem Nationalsozialismus zurückzunehmen? In diesen Stellvertreter- oder Kulturkriegen spielten viele mit: die katholische Hierarchie bis hin zum Vatikan, die Regierung und auch die DDR. Mit jeder Auseinandersetzung gingen starke Polarisierung und ideologische Konflikte einher.

Wagenburg-Mentalität

Nach Darstellung von Ruff trug auch eine Wagenburg-Mentalität der katholischen Kirche dazu bei. Geprägt von den Erfahrungen in der Weimarer Republik und dem Dritten Reich, die massive, tiefe Verletzungen hervorgebracht hatten, waren sich Hierarchie, Wissenschaftler und katholische Presse einig, ein durch und durch positives Bild von der Haltung der Kirche in der NS-Zeit zu zeichnen - auch wenn ihre Rolle weit weniger heldenhaft war, als es in der unmittelbaren Nachkriegszeit schien.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), so Ruff, teilte diese Wagenburg-Mentalität. Sie sorgte unabsichtlich mit für den Erfolg von Hochhuths "Stellvertreter", weil der Berliner Redakteur Ernst-Alfred Jauch, Vater von Günther Jauch, unter der Hand vorab ein Exemplar zugespielt bekam. Sein Bericht machte die Medien darauf aufmerksam, dass ein Skandal zu erwarten war.

Eine Folge der Auseinandersetzungen um die Rolle der Kirche war die Gründung der "Kommission für Zeitgeschichte" 1962. Als katholisches Gegenstück zum Münchner Institut für Zeitgeschichte gedacht, sollte sie die Quellen zur Geschichte der Kirche im Dritten Reich zusammentragen. Heute versteht die Kommission sich als eine außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung des Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, die anerkanntermaßen auf höchstem wissenschaftlichen Niveau arbeitet.


Papst Pius XII. (KNA)
Papst Pius XII. / ( KNA )

Clemens August Graf von Galen (KNA)
Clemens August Graf von Galen / ( KNA )

NS-Aufmarsch (KNA)
NS-Aufmarsch / ( KNA )
Quelle:
KNA