"Ich klebe die Flügel zusammen – für die gefallenen Engel von Schwerte. Das ist ein schöner Name für unsere Figuren", sagt Häftling Halim. Gerade steht er mit vier Mitgefangenen im Werkraum der Justizvollzugsanstalt Schwerte und leimt ein Gerüst aus Holzleisten. Der 29-Jährige sitzt wegen Diebstahl und Drogenbesitz ein. Jetzt nimmt er am Workshop teil, den das Schwerter Künstlerpaar Elisabeth Stark-Reding und Christoph Prausnitz schon zum dritten Mal anbietet. Halim ist Moslem und erzählt, dass Engel auch im Islam eine große Rolle spielen. "Als Schutzengel. Wir glauben, dass um jeden Menschen 360 Engel kreisen. Einen davon mache ich gerade", sagt er stolz. Überhaupt ist die Stimmung gut in dem streng gesicherten Atelier. Halim und die anderen sind hochkonzentriert dabei, feilen hier und da, tauschen sich über Details aus.
Große weiße Flügel aus wasserabweisender Folie, Körper aus Stroh, Gebets-Gestus – so in etwa sehen die Engel aus, die hier gerade entstehen und später beim Krippenweg direkt an Straßenlampen in der Altstadt montiert werden, als Laternenengel. "Das Basteln ist eine willkommene Abwechslung, die uns ein bisschen aus unserem Alltagstrott holt", meint René. Johannes pflichtet ihm bei, auch ihm macht das Krippenwegs-Projekt sichtlich Spaß. Er sei zwar nicht streng gläubig, sagt er. "Trotzdem ist ein Engel für mich etwas Gutes, steht für Weihnachten und bedeutet Hoffnung."
Freiräume in einer Anstalt
Insgesamt vier Mal drei Stunden dauert der Engel-Bau-Kurs – immerhin zwölf Stunden, die die Männer nicht in ihren Zellen verbringen müssen. Hier können sie etwas von sich ausdrücken und darüber mit anderen sprechen. Das tut nicht nur gut, sondern öffnet sogar Freiräume in einer Anstalt, deren Markenzeichen doch eigentlich fest verriegelte Eisentüren sind. "Hier ist alles reglementiert, alles wird streng kontrolliert", erklärt Gabriele Harms "Der Workshop dagegen bedeutet ein Stück innere Freiheit." Weil die Leiterin der JVA Schwerte und ihr Team in den beiden ersten Jahren so gute Erfahrungen mit dem Projekt "Engel aus dem Knast für den Krippenweg" gemacht haben, wollen sie auch über 2017 hinaus mit dabei sein. "Es ist überhaupt kein Problem, unsere Leute zum Mitmachen zu bewegen. Das spricht für sich."
Die Künstlerin Elisabeth Stark-Reding und ihr Mann, der Designer Christoph Prausnitz, haben unterdessen keinerlei Berührungsängste mit den JVA-Insassen, obwohl die doch wegen teils schwerer Verbrechen ihre Haft in Schwerte verbüßen. "Sie sind Menschen wie du und ich", meint die Malerin, "Sie sind sogar besonders motiviert!" Während des Werkens lerne man sich untereinander ganz gut kennen – und schätzen. "Jeder hat doch eine zweite Chance verdient!" Die Aktion rund um die Engel aus dem Knast, glaubt Elisabeth Stark-Reding, ist natürlich auch ein Stück Öffentlichkeitsarbeit. Denn so werden die Gefangenen zur Abwechslung einmal als produktive Menschen präsentiert.
Erlös geht ans örtliche Kinderhospiz
"Die Leute draußen sollen sehen", wünscht sich Michael, "dass wir nicht einfach irgendwelche Schwerkriminellen sind, sondern auch Gutes leisten und uns für bestimmte Projekte einsetzen." Denn die Engel werden nach Ende des Krippenweges meistbietend verkauft, der Erlös geht ans örtliche Kinderhospiz.
Dass die Bürger ihr negatives Bild von Häftlingen überdenken, ist auch Stevens Anliegen. Er selbst verbüßt seine Haftstrafe wegen Körperverletzung und bereut zutiefst, was er getan hat. "Aber ich kann es ja nicht ungeschehen machen, ich kann nur dazu stehen." Außerdem versucht Steven, die langen Monate im Knast sinnvoll zu nutzen. Da kam ihm das Angebot, Engel für den Krippenweg zu basteln und zu bauen, gerade recht. Dass er das Ergebnis seiner Arbeit nicht vor Ort an der Schwerter Altstadtlaterne wird sehen können, findet Steven natürlich schade. Ein kleiner Trost ist ihm aber, dass seine in Schwerte wohnende Mutter versprochen hat, Fotos vom fertigen Kunstwerk auf dem Krippenweg zu machen: "Sie freut sich schon!" Dann kann sie stolz sagen: "Das hat mein Sohn gemacht!"