Diakon über das Zittern rund um die Brexit-Verhandlungen

"Wir müssen die Entscheidung akzeptieren"

Nach den Brexit-Gesprächen zwischen EU und Großbritannien sind noch immer keine Ergebnisse in Sicht. Gerade für die Deutschen im Land ist das eine Zeit voller Ungewissheit, weiß der Diakon der deutschsprachigen Gemeinde in London.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, begrüßt die britische Premierministerin Theresa May. / © Virginia Mayo (dpa)
Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, begrüßt die britische Premierministerin Theresa May. / © Virginia Mayo ( dpa )

DOMRADIO.DE: Lange mussten wir den Eindruck haben, dass Theresa May selbst nicht so richtig weiß, wie sie den Brexit über die Bühne bringen soll... Was hat man denn in Großbritannien für einen Eindruck von ihrer Rolle?

Stephan Arnold (Diakon der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in London): Der ist letztlich ähnlich. Dass es nämlich nicht ganz klar zu sein scheint, wie und vor allem zu welchen Bedingungen der Brexit vollzogen werden soll. Ich glaube, da haben die Wähler tatsächlich eine Entscheidung getroffen, über deren Konsequenzen sie sich nicht in Gänze bewusst waren. 

DOMRADIO.DE:  Wie sehen denn die britischen Bürger das Brexit-Chaos. Eher gelassen – oder eher aufgeregt?    

Arnold: Das ist unterschiedlich. Diejenigen, die unbedingt raus wollten, die sind relativ gelassen; die sagen "Ach, wir gehen eh irgendwie raus, zur Not auch ohne Einigung mit der EU". Andere sagen schon: "Wir wollen geregelt rausgehen; es muss einen Übergang geben, das sind wichtige Handelspartner für uns und wir müssen auch in Zukunft miteinander umgehen." Und schließlich gibt es die, die das immer noch nicht verstanden haben und die das auch nicht akzeptieren wollen, dass Großbritannien überhaupt die Europäische Union verlässt.     

DOMRADIO.DE: Ex-Premier-Minister Tony Blair hat gesagt "Eine Umkehr ist möglich". Und auch Sie haben gerade von Zweifeln an der Brexit-Entscheidung berichtet. Haben diese Zweifel das Zeug dazu, dass sich doch noch eine mächtige "Stop the Brexit"-Bewegung entwickeln könnte?

Arnold: Das ist die Frage. Es gibt natürlich immer mal wieder eine Demonstration hier – sowohl für den Brexit also auch dagegen, auch mit großer Beteiligung. Im Raum London war ja ohnehin die große Mehrheit der Bürger dafür, in der EU zu bleiben. Das ist für die Politiker, die im Parlament sitzen, schwierig zu machen. Die Regierung sagt: "Wir gehen auf alle Fälle aus der EU raus – das ist entschieden!" Aber auch ich bin nicht so sicher, dass es am Ende nicht doch noch ein Zurück gibt. Wenn wir in Betracht ziehen, was das alles für Konsequenzen hat, was das für die Wirtschaft bedeutet in Großbritannien, für die Preise, für alles, ist das die Frage, ob man am Ende nicht doch noch die Reißleine zieht. Aber das ist wirklich sehr schwer vorherzusagen.    

DOMRADIO.DE: Aber meinen Sie, es könnte sich so eine "Stop-the-Brexit"-Bewegung von unten formieren? Gibt es genug Leute, die dafür auf die Straße gehen würden – wie erleben Sie das im Umfeld Ihrer Gemeinde?

Arnold: In der Gemeinde selbst sind ja vor allem Deutsche. Sie sind zum Teil mit Engländern verheiratet. Aber die sind ja auch relativ offen dafür. Da gibt es schon noch diese Hoffnung auf eine Abkehr vom Brexit. Aber letztlich ist es eine Entscheidung der Briten; wir müssen sie akzeptieren. Da können wir als Deutsche, als Europäer wenig zu beitragen. Wir können natürlich reden und versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten für die Europäische Union. Aber letztlich entscheiden die Briten.   

DOMRADIO.DE:  Ein Knackpunkt der Brexit-Verhandlungen ist ja, wie es künftig um die Rechte der EU-Bürger bestellt sein wird. Wie erleben Sie Ihre Gemeindemitglieder in dieser Frage?

Arnold: Das beschäftigt natürlich alle. Das ist ja klar. Sie müssen sehen, ob sie hier bleiben können und wollen. Das ist die Frage, die alle umtreibt. Es gibt mittlerweile viele in der Gemeinde, die neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft beantragen. Einige haben Kinder und möchten ihnen ein Leben in England ermöglichen. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft können sie in beiden Ländern leben. Weiter gibt es Leute, die sich vorstellen konnten, hierzubleiben und jetzt sagen "Nein, dann gehen wir zurück!" Das passiert immer wieder auch hier in der Gemeinde. Im letzten Sommer hatten wir relativ viele Ministranten, die mit ihren Familien zurückgegangen sind, obwohl das nicht vorhersehbar war.    

DOMRADIO.DE: Hatten Sie auch schon mal Gedanken wie "Dann gehen wir eben zurück nach Deutschland?"

Arnold: Ich bin ja sowieso von der Bischofskonferenz für fünf Jahre entsandt und gehe dann wieder zurück in mein Heimatbistum Limburg. Es sei denn, der Vertrag würde verlängert. Von meiner Seite aus ist das ohnehin nicht für immer gewesen, sondern für eine bestimmte Zeit.

DOMRADIO.DE:  Machen Sie persönlich sich denn auch Sorgen um Ihre Zukunft?

Arnold: Ich bin letztlich auch betroffen – etwa von Aufenthaltsstatus-Fragen. Habe ich den automatisch eine gesicherte Aufenthaltsgenehmigung – oder muss ich die beantragen? Die Frage der Krankenversicherung spielt eine Rolle, im Moment bin ich als EU-Bürger über den NHS, den nationalen Gesundheitsservice, versichert. Wie wird das dann geregelt? – Für mich sind das relativ kleine Fragen, weil ich finanziell nicht davon abhängig bin, sondern nach wie vor von Deutschland aus bezahlt werde und das auch in Zukunft.     

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR