Theologe kritisiert Schlachtung von Gänsen vor Passanten

"Da wird mir übel"

Wie reagieren Menschen, wenn sie mit dem Töten von Tieren direkt beim Kauf von Fleisch konfrontiert werden? Der WDR wollte es mittels eines radikalen Sozialexperiments herausfinden. Nicht nur Passanten waren überaus schockiert.

Für den Weihnachtsbraten sterben viele Gänse / © Stefan Sauer (dpa)
Für den Weihnachtsbraten sterben viele Gänse / © Stefan Sauer ( dpa )

DOMRADIO.DE: An einem Marktstand in der Kölner Innenstadt bot ein Landwirt am vergangenen Wochenende Gänse an und schlachtete sie vor den Augen der Passanten. Jetzt waren die Menschen in der Kölner Innenstadt ziemlich geschockt, als sie das gesehen haben. Was halten Sie von diesem Sozialexperiment des WDR?

Dr. Rainer Hagencord (Institut für theologische Zoologie): Auch ich sehe ja jetzt nur die Bilder und man muss schon ein Herz aus Stein haben, um nicht davon berührt zu sein, wenn man diesen Gänsen ins Gesicht schaut und sehen muss, wie ein solches Tier stirbt. Ich finde das Experiment fragwürdig. Ich denke, die reine Information und Zahlen hätten gereicht.

DOMRADIO.DE: Die Zahlen hört man ja immer mal wieder am Rande. Trotzdem ist es immer wieder so, dass wir verdrängen, dass Tiere geschlachtet werden müssen, bevor sie als Weihnachtsbraten unter dem Baum gegessen werden, oder?

Hagencord: Tatsächlich. Aber wir müssen uns die Zahlen vor Augen führen. Diese sind schon unerhört: 750 Millionen Tiere werden allein in Deutschland geschlachtet. Und zu Weihnachten kommt noch hinzu, dass die Schlachthöfe noch mal so richtig heiß laufen. Ich finde, alleine diese Zahlen sind eine Schocktherapie und ich frage mich, ob da wiederum lebende Tiere herhalten müssen, um das den Menschen vor Augen zu führen.

DOMRADIO.DE: Zahlen, so argumentieren viele, sind nicht immer so griffig, oder?

Hagencord: Man kann auch über die Tatsachen reden. Etwa: Viele Schweine werden nicht vernünftig betäubt, sodass sie im kochenden Wasser wach werden. Die Zahlen zeigen dann das Ausmaß. Bei sechs Millionen Schweinen werden rund acht Prozent nicht vernünftig betäubt. Da kann man sich das Drama ausrechnen. Also ich glaube, um eine solche Schocktherapie herzustellen, braucht es nicht Tiere, die dafür leben lassen müssen.

DOMRADIO.DE: Wie kann man es denn machen?

Hagencord: Ein schönes Beispiel ist das "Grunzmobil". Das ist ein Engagement von der Albert-Schweitzer-Stiftung, die mit einem künstlichen Schwein durch die Innenstadt fährt und Bilder aus den Schlachthöfen zeigt. Ich finde, das reicht.

DOMRADIO.DE: Wer jetzt nicht ganz auf Fleisch verzichten will - aber verantwortungsbewusst damit umgehen will: Was raten Sie jetzt zur Weihnachtszeit? Wieviel Fleisch ist ok, welches sollte man kaufen?

Hagencord: Vielleicht sollte man zuerst darüber nachdenken, was bedeutet das "Fest des Friedens"? Also spätestens seit der Enzyklika des Papstes Franziskus "Laudato si", in der der Papst diese Fragen stellt und auch eine klare Diagnose liefert, wird deutlich, dass wir in den Industrienationen Krieg führen. Und zwar nicht nur gegen die Tiere, sondern auch gegen die Armen und gegen das Klima.

DOMRADIO.DE: Was meint Franziskus konkret damit?

Hagencord: Franziskus hat ja schon vor einem Jahr oder zwei Jahren davon gesprochen, dass diese Wirtschaft tötet. Da wird damit geworben und vermittelt, dass wir jetzt ganz viel kaufen und dafür am besten auch am Heiligen Abend und am ersten und zweiten Weihnachtstag noch mindestens drei Gänge Fleisch essen müssen. Und das ganze wird womöglich noch mal theologisch legitimiert, indem die Kirchen in der Liturgie in dieselbe Kerbe schlagen. Also mir wird da übel - ehrlich gesagt - und bei der Frage: Welches Fleisch darf ich noch essen? Da liegt die Antwort auf dem Tisch. Also bitteschön kein Fleisch mehr aus industrieller Tierhaltung.

DOMRADIO.DE: Was kommt bei Ihnen zu Weihnachten auf den Teller?

Hagencord: Wunderbare vegetarische Küche.

Das Interview führte Verena Tröster.


Öko-Baum, Bio-Braten und Zeitgutscheine - Beispiele für ein umweltbewusstes Fest / ©  Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Öko-Baum, Bio-Braten und Zeitgutscheine - Beispiele für ein umweltbewusstes Fest / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Quelle:
DR