DOMRADIO.DE: Was steckt da dahinter? Und warum ist das in Australien so ein großes Problem?
Anian Christoph Wimmer (Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Catholic News Agency): Das hat viele Gründe. Ein Hauptgrund wird sein, dass mindestens jede fünfte Schule in Australien eine katholische Einrichtung ist. Dass gerade kirchliche Einrichtungen katholischer Art zum Beispiel im Umgang mit Waisen und anderen Schutzbedürftigen sich über Jahrzehnte verdient gemacht hatten. Wie sich jetzt herausstellt, wurde sich leider auch an Kindern maßenweise vergriffen.
DOMRADIO.DE: Sie haben lange in Australien gelebt. Wie gehen die Menschen mit dieser Tragödie um? Ist das eher ein offenes Geheimnis, dass es solche Fälle gab oder ist das etwas, was die Leute ganz neu schockiert?
Wimmer: Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Vor 20 Jahren wurde über so etwas nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Tatsächlich ist mittlerweile die öffentliche Debatte sehr vehement und sehr anti-katholisch eingestellt - mit Blick darauf, wie die katholische Kirche mit diesem Thema umgegangen ist. Wie die Erzbischöfe von Melbourne und Sidney auch eingeräumt haben, wurde das systematisch - gerade von der Kirche - unter den Teppich gekehrt.
DOMRADIO.DE: Die staatliche Komission hat fünf Jahre gearbeitet, blickt aber auch in die Zukunft mit konkreten Vorschlägen. Unter anderem soll die australische Kirche den Vatikan bitten, den Pflichtzölibat aufzuheben. Melbournes Erzbischof Denis Hart sagt, man werde das tatsächlich tun. Hat solch ein Ersuchen denn Aussicht auf Erfolg oder ist es eher eine symbolisches Vorgehen?
Wimmer: Ich denke nicht, dass es symbolisch ist - mit Blick darauf, wie damit umgegangen wird. Das Verständnis der Rolle des Zölibates, was Sexualität angeht, ist aus katholischer Sicht oft ein anderes als aus weltlicher. Gerade Ezbischof Hart wird das Thema sicherlich im Vatikan anbringen. Gleichzeitig spielt hier das Sakrament der Beichte eine ganz wichtige Rolle. Die Kirche steht vor einer schweren Herausforderung, wie man selber damit umgeht. Erzbischof Fischer aus Sydney fragte: "Was mache ich denn, wenn ich im Beichtstuhl sitzen würde und mir erzählt jemand, ein Priester hat mich sexuell missbraucht? Wie kann ich dieses Problem lösen, ohne gleichzeitig dieses heilige Geheimnis der Beichte zu brechen?"
Seitens der Kirche sind ganz konkrete Vorschläge erarbeitet worden, man will vorbeugen und Straftaten belangen. Hier hat die Kirche in den letzten 20 Jahren in Australien unglaubliche Fortschritte gemacht. Wir dürfen nicht vergessen, diese schreckliche Zahl bezieht sich vor allem auf Missbräuche aus den 1960er, 1970er und 1980er Jahren. Seitdem hat sich viel getan, auch mit der Hilfe von Experten aus Rom und des deutschen Jesuitenpriesters Hans Zollner, der federführend ist - gerade in der Präventionsarbeit.
DOMRADIO.DE: Das heißt, man kann positiv optimistisch in die Zukunft blicken, auch was die Aufarbeitung angeht?
Wimmer: Ich glaube schon. Es werden nicht mehr Menschen zu Geistlichen geweiht oder auch als Laien in der Kirche in Australien arbeiten dürfen, die es damals noch durften. Die psychologische und geistliche Prüfung ist eine ganz andere. Der Schutz von Kindern ist institutional ein ganz anderer in Australien. Die Kirche hat die Chance, weiter voranzuschreiten, weil sie mit den Opfern daran arbeitet, dass in der Prophylaxe so etwas nicht wieder passieren kann.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.