Bild "Anbetung der Hirten" in Kölner Sonderausstellung

"Betrachter taucht ins Weihnachtsgeschehen ein"

Viele Künstler haben durch die Jahrhunderte das nächtliche Geschehen im Stall von Bethlehem auf die Leinwand gebannt. So auch der niederländische Meister Gerrit van Honthorst. Doch sein Werk "Anbetung der Hirten" ist etwas Besonderes.

Ausschnitt des Bildes "Anbetung der Hirten" / © Wallraf-Richartz-Museum Koeln (epd)
Ausschnitt des Bildes "Anbetung der Hirten" / © Wallraf-Richartz-Museum Koeln ( epd )

DOMRADIO.DE: Das berühmteste Werk Gerrit van Honthorsts, "Anbetung der Hirten", ist derzeit in der Sonderausstellung "Wundervoll" im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu bewundern. Warum ist das denn eine ganz "wundervolle" Weihnachtsdarstellung?

Carsten Schmalstieg (Kunsthistoriker): Zunächst ist Weihnachten immer noch ein Wunder. Gott wird Mensch – als Kind in der Krippe. Dann ist es aber auch wundervoll, was der Maler Gerrit van Honthorst hier geschaffen hat, also die Qualität des Bildes. Und schließlich ist auch wundervoll, dass das Wallraff-Richartz Museum in Köln dieses Bild in diesem Jahr in den Mittelpunkt stellt. Denn damit wird noch einmal sehr deutlich: Zu Weihnachten geht es nicht um ein beliebiges Glühwein-, Bratwurst-, Winterfest, sondern es geht um ein großes Geheimnis; und der Maler Gerrit van Honthorst versucht, uns ein wenig an dieses Geheimnis heranzuführen.

DOMRADIO.DE: Die Vorstellung von "Christus als Licht der Welt", die interpretiert Gerrit van Honthorst hier ganz wörtlich, oder?

Schmalstieg: Licht spielt in vielen Weihnachtsdarstellungen eine wichtige Rolle. Wir sind es gewohnt, eine Laterne auf solchen Bildern zu sehen oder vielleicht einen strahlenden Stern. Das hat mit den Visionen der Birgitta von Schweden zu tun, die in einer dieser Visionen schildert, dass das Jesuskind in großem Lichtglanz auf die Welt kam. Das hat Eingang in die Kunstgeschichte gefunden. Das Besondere in diesem Bild ist aber, dass wir eine Lichtquelle zunächst einmal suchen müssen und dann erkennen, dass das Licht aus dem Kind herauskommt, also dass das Kind die Lichtquelle ist.

DOMRADIO.DE: Die Heilige Familie, die Hirten, ein Ochse am Bildrand - eine Szene großer Intimität. Wie schafft der Maler diese Atmosphäre der Intimität?

Schmalstieg: Erfreulicherweise schildert dieses Bild keinen Massenauflauf, wie das in vielen anderen Anbetungsszenen durchaus üblich ist. Da quellen die jeweiligen Gemälde geradezu über vor Figuren, hier ist das ganze Personal auf sechs Personen beschränkt: Drei Hirten, Maria, Josef und natürlich das Jesuskind.

DOMRADIO.DE: Welche Botschaft vermittelt das Bild? 

Schmalstieg: Zunächst einmal beruht die Botschaft auf einem Gegensatz: Zwischen dem Ereignis, das in diesem Bild geschildert wird als Ereignis am Rande der Gesellschaft. Denn es sind keine Könige, keine Herrscher anwesend, sondern die Hirten - wirklich einfache, oder wie wir heute sagen würden, normale Menschen. Dieses Ereignis fand darüber hinaus in Bethlehem statt, also in Palästina, in der abgelegensten Provinz des Römischen Reiches, am Rand des Reiches, nicht in Rom. Trotzdem hatte dieses vordergründig kleine Randereignis solche Auswirkungen auf die Geschichte, auf die Menschheit.

Und das zweite: Gott offenbart sich in diesem Bild den Geringsten, den Hirten und einigen Vertretern des Judentums. Auf der rechten Seite des Bildes sehen wir einen Ochsen ins Bild hineinschauen. Der ist quasi aus dem Alten Testament herüber gelaufen; beim Propheten Jesaja lesen wir nämlich im ersten Kapitel im dritten Vers: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht." Der Ochse im Bild aber ist  anwesend, er hat Einsicht, obwohl es sich nur um eine stumme Kreatur handelt.

DOMRADIO.DE: Honthorsts Bild ist 1622 entstanden - natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern es steht in einer langen Tradition von Weihnachtsdarstellungen.

Schmalstieg: Bei Weihnachtsdarstellungen müssen wir immer über die Grundlage sprechen – das Lukasevangelium, das zweite Kapitel, die Verse 8 bis 20. Diese Schriftworte sind später immer wieder dargestellt worden, zunächst auch als Teil von Architektur oder als Buchmalerei. Dann wurden die Darstellungen größer, aber die Hirten waren lange Zeit nur eine Art Beiwerk, wurden erst später gleichberechtigt. Wir erleben hier in Honthorsts Bild sozusagen einen Gipfel der Gleichberechtigung. Denn hier sind die Hirten mit dem Kind auf Augenhöhe - und auch später, wenn die Könige kommen.

DOMRADIO.DE: Was sind direkte Vorbilder Honthorsts?

Schmalstieg: Da muss ich zwei Maler erwähnen. Zum einen seinen alten Lehrer Abraham Bloemart, der 1564 geboren wurde und natürlich auch einen römischen Maler, Caravaggio. Denn Honthorst hat in Rom studiert, hat dort die Werke Caravaggios kennengelernt und besonders dessen Hell-Dunkel-Malerei, das so genannte Chiaroscuro. Und diesen Effekt hat Honthorst dann nach Norden gebracht und damit so berühmte Maler wie Vermeer, Rembrandt oder Frans Hals beeinflusst. 

DOMRADIO.DE: In dieser Tradition also steht Honthorst. Was ist schließlich neu und original an diesem Bild?

Schmalstieg: Wir können wirklich diese Vermittlungsleistung besonders würdigen. Dass er eine italienische, eine römische Eigenart nach Nordeuropa gebracht hat, diesen Hell-Dunkel-Kontrast und damit quasi ein Nachtstück geschaffen hat. Das eigentlich Besondere ist, dass der Betrachter das Kind als Lichtquelle wahrnimmt.        

DOMRADIO.DE: Noch ein Blick auf den Maler selbst. Wer war er, wofür stand er?

Schmalstieg: Gerrit van Honthorst war 1622, als er das Gemälde schuf, 30 Jahre alt und stand am Beginn einer großen Karriere. Er war gerade in die Utrechter Malergilde aufgenommen worden und gehörte dort zum Kreis der Utrechter Caravaggisten, Malern, die sich eng an Caravaggio orientierten und seine Hell-Dunkel-Effekte übernahmen. Die Italiener nannten Honthorst später dann auch "Gherardo delle Notti" – "Gerhard der Nächte". Bis vor einigen Jahren gab es übrigens ein Zwillingsbild dieser "Anbetung" in den Uffizien in Florenz unter eben diesem Namen Gherardo delle Notti – also Gerrit von Honthorst. Aber dieses Bild ist leider am 28. Mai 1993 bei einem Autobombenattentat der sizilianischen Mafia Cosa Nostra zerstört worden, sodass nur das Zwillingsbild in Köln erhalten ist.

DOMRADIO.DE: Das Gemälde erstrahlt in neuem Glanz, wird den Besuchern frisch restauriert präsentiert. Warum lohnt es ein Besuch beim Bild "Anbetung der Hirten" auf jeden Fall?

Schmalstieg: Dieses Bild bietet dem Betrachter eine wunderbare Chance, er kann sich nämlich in den Kreis der Hirten einreihen. Wer das einmal versucht, stellt fest, dass sich dann der Betrachterkreis schließt. Und damit nimmt das Bild den Betrachter in das Weihnachtsgeheimnis hinein.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR