Es war das erste Mal, dass für Lian ein eigenes Geschenk unterm Weihnachtsbaum lag. Auch Saifs Name stand vorher noch nie auf einem bunten Weihnachtspäckchen. Der Unterschied: Lian war erst wenige Monate alt und Saif bereits sieben Jahre. Der quirlige Rotschopf flüchtete mit seinem Vater Saad Jasin aus Mossul und feierte im letzten Jahr erstmals in Deutschland das Weihnachtsfest - zusammen mit Familie Stürzl aus Alfter bei Bonn, zu der neuerdings auch Enkel Lian gehört.
Hilfe für Flüchtlinge
Jutta Stürzl ist christlich aufgewachsen. "Das Teilen steht an Weihnachten für mich im Vordergrund", erklärt sie. Schnell hatte sie deshalb den Entschluss gefasst, gemeinsam mit Saif und Saad den Heiligen Abend zu feiern. Die 63-Jährige engagiert sich seit zwei Jahren in der Flüchtlingshilfe und betreut seither das muslimische Vater-Sohn-Gespann. Sie erledigt Behördengänge, begleitet Saad zu Elternabenden und hilft beim Ausfüllen von Formularen für den Familiennachzug.
Denn wegen einer Verletzung musste Saad seinen jetzt fünfjährigen Sohn Mohammed auf der Flucht mit den Großeltern in der Türkei zurücklassen. Die Hoffnung auf eine Zusammenführung wenigstens zu diesem Weihnachtsfest wurde vor wenigen Tagen zunichtegemacht, weil die Beschaffung der nötigen irakischen Dokumente laut Saad nun doch mehr Zeit und Geld kosten wird.
Lichter des Tannenbaums helfen
Im letzten Jahr flossen dicke Tränen über die Wangen des 37-Jährigen, als er während der Weihnachtsfeier mit Mohammed telefonierte. Aber die schönen Stunden im Licht des Tannenbaums helfen ihm, die Sorgen auch einmal zu vergessen. Saad liebt Kinder. Er hat ein breites Lächeln, freundliche Augen; mit dem Deutsch hapert es noch. Stürzls Enkel Lian auf seinem Arm ist das egal.
Mutter Diana und der heute Eineinhalbjährige haben die beiden Iraker schnell ins Herz geschlossen. "Ich habe gar kein Problem damit, dass die beiden mit an unserem Weihnachtsfest dabei sind", erklärt Diana. Schon als kleines Kind sei es für sie üblich gewesen, dass auch andere Menschen wie die einsame Tante an dem Fest teilhaben. "Wir haben Freude an der Freude der anderen", erklärt sie.
Freude an der Freude
Ihrer Meinung nach ist es für die Schutzsuchenden eine seltsame Situation, dass das Leben über die Feiertage stillsteht. "Gerade für die Kinder wird es dann schnell langweilig", so die 41-jährige Diana. Da biete ein Zusammentreffen eine Abwechslung.
Saad und Saif leben in einem Flüchtlingsheim auf wenigen Quadratmetern in einem Container. Seit Monaten suchen sie eine Wohnung. "Wir haben schon alles versucht, aber selbst wenn wir etwas Passendes gefunden haben, wollen die Vermieter keine Geflüchteten", sagt Jutta Stürzl ernüchtert. Aber zumindest an Weihnachten haben Vater und Sohn dank ihrer Hilfe ein schönes Ambiente. Auch in diesem Jahr schmückt sie mit den beiden Muslimen vorab den Christbaum.
Die Bonner Koordinatorin der evangelischen Migrations- und Flüchtlingsarbeit, Elena Link Viedma, findet den kulturellen Austausch wichtig. Bei einem Treffen mit ehrenamtlichen Helfern wird sie von Sprachpatin Monika Placke gefragt: "Kann ich mit meiner elfjährigen, muslimischen Syrerin die Weihnachtsgeschichte lesen?" Link Viedma nickt: "Sicher. Die Schutzsuchenden kommen hierher in eine christliche Kultur, dann ist es umso besser, wenn so etwas zum Allgemeinwissen gehört", sagt die Mitarbeiterin des ökumenischen Asylkompasses in Alfter. "Ich freue mich ja auch, das Zuckerfest mit den Flüchtlingen zu feiern."
Backen macht glücklich
"Jetzt glücklich ich bin", resümiert die libysche Flüchtlingsmutter (36) nach dem Adventsbacken mit Sprachpatin Susanne Bahn und ihrem Mann. "Einen besseren Lohn konnten wir nicht bekommen", sagt die ehemalige Religionslehrerin. Auch im letzten Jahr backte das Ehepaar mit ihrem damaligen Schüler aus Syrien. Lebhafte Diskussionen um Rezepte und - natürlich - leckere Weihnachtplätzchen seien das Resultat gewesen. Bahn lud den Syrer dann zum Familienessen am zweiten Weihnachtstag ein. "Es war eine große, lebhafte Tischrunde mit unseren Kindern und Enkeln", erinnert sich die 64-Jährige.
Die Flüchtlingskoordinatorin freut sich über solches Engagement, das über die wöchentliche Sprachlernstunde hinausgeht. "Ehrenamtler leisten so schon einen unschätzbar hohen, freiwilligen Einsatz für die Integration", so Link Viedma.
Geschenke mit Bedeutung
Zum Weihnachtsfest bei Familie Stürzl soll sich in diesem Jahr neben den Irakern auch noch eine weitere von der ehemaligen Bankkauffrau betreute sechsköpfige Flüchtlingsfamilie aus Syrien gesellen. "Ich erkläre den Kindern und Eltern gerade, dass sie die Geschenke, die sie von Unternehmen und sozialen Einrichtungen bekommen, nicht sofort öffnen sollen, sondern mir geben", schildert sie. An Heiligabend würden dann reihum die Pakete geöffnet. "Mir ist es wichtig, dass dies zelebriert wird, damit auch jedes Geschenk und Kind die entsprechende Beachtung findet."
"Letztes Jahr hat mir Jutta ein Skateboard geschenkt", erzählt Saif. Er sei gespannt, womit er dieses Mal überrascht werde. "Ich freue mich auf ein volles Haus an Weihnachten und einige schöne gemeinsame Stunden", sagt Frau Stürzl. Sie ist sicher: Es wird sie glücklich machen, bald wieder viele "leuchtende Kinderaugen" unterm Weihnachtsbaum zu sehen.