Aus deutscher Sicht trägt Kardinal Oscar Andres Rodriguez Maradiaga die Aufkleber Lateinamerika und Dauerbesucher aus der Weltkirche; ein Weltreisender in Sachen Caritas und Schuldenschnitt für die verarmten Länder des Südens. Aus vatikanischer Sicht ist er Berater des Papstes, Vorsitzender des Kardinalsrates für die Kurienreform und langjähriger Präsident von Caritas Internationalis. Aus Sicht seines armen Heimatlandes Honduras erscheint er als Hirte, der nur selten zuhause ist. Zwischen den Jahren, am 29. Dezember, wird der Erzbischof von Tegucigalpa 75 Jahre alt.
Als im März 2013 ein neuer Papst gewählt werden sollte, hatten viele einen Lateinamerikaner auf dem Zettel. Allerdings weniger den argentinischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio. Häufiger genannt wurde, vor allem von der kirchlichen Linken in Europa, der Erzbischof von Tegucigalpa. Maradiaga nennen sie ihn allenthalben. Das ist nicht ganz korrekt. Denn eigentlich gäbe sein erster Familienname Rodriguez den Ausschlag - doch der ist in Lateinamerika so häufig wie bei uns Müller oder Schmitz. Also Maradiaga.
Hochgebildet und sozial engagiert
Der charismatische Ordensmann der Salesianer Don Boscos galt - ebenso wie Franziskus - schon 2005 als papsttauglich. 2013 galt dies umso mehr, nicht zuletzt wegen seiner vatikanischen Spitzenposition als Präsident von Caritas Internationalis (2007-2015). Hochgebildet und sozial engagiert, profilierte sich Maradiaga unter anderem auch als Wortführer der Millenniums-Entschuldungskampagne 1999/2000, kritisierte unermüdlich Ungerechtigkeit und Drogenkriminalität in Lateinamerika.
In Europa war er bei Katholikentagen und Aktionseröffnungen allgegenwärtig; über viele Jahre galt er als Hoffnungsträger für eine neue Weltkirche. Aus heutiger Sicht wirkt Maradiaga wie ein Vorläufer: für Papst Franziskus das, was Johannes der Täufer für Jesus war.
Vorschläge für eine Reform der römischen Kurie erarbeitet
Doch das neue Kirchenoberhaupt hielt für seinen Vertrauten schon bald andere anspruchsvolle Aufgaben bereit: Maradiaga leitet die Kardinalskommission, die zusammen mit dem Papst Vorschläge für eine Reform der römischen Kurie erarbeitet. Rechnet man den Papst mit, sitzen gleich drei Lateinamerikaner in der zehnköpfigen Gruppe - und Maradiaga treibt das Mammutprojekt immer wieder schwungvoll voran.
Der so freundliche wie charismatische Kirchenmann wurde am 29. Dezember 1942 in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa geboren.Seine Bildungsbiografie zeugt von einem weiten Horizont. Schon als junger Ordensmann studierte er Theologie (mit einem Doktorat in Moraltheologie), Klavier und Komposition, Physik, Mathematik, Chemie, Philosophie und Psychologie in Tegucigalpa, Rom und Innsbruck.
Der Kardinal und die Politik
In Tirol erwarb er ein Diplom in klinischer Psychologie und Psychotherapie, ist Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie. 1978 wurde Maradiaga Weihbischof in Tegucigalpa, 1993 Erzbischof und drei Jahre später Vorsitzender der Honduranischen Bischofskonferenz (bis 2016). Von 1995 bis 1999 stand er dem Lateinamerikanischen Bischofsrat CELAM vor.
Politisch geschadet hat dem Kardinal seine Haltung zum Sturz des linken honduranischen Staatspräsidenten Manuel Zelaya 2009. Dessen Anhänger verurteilten die Absetzung durch die Armee als Putsch. Doch Maradiaga nannte die weltweiten Proteste gegen Zelayas Amtsenthebung einseitig - und warb für eine differenzierte Betrachtung der politischen Krise. Er verwies auf fragwürdige geplante Verfassungsänderungen Zelayas und verlangte Untersuchungen wegen Korruption. Zugleich verurteilte er die Art des Vorgehens der Armee in der labilen mittelamerikanischen Republik. Seine Haltung brachte Maradiaga den Schmähnamen "Putsch-Kardinal" ein.
Medialer Sündenbock
Vor allem für linke Gruppierungen wurde so aus dem Hoffnungsträger ein medialer Sündenbock; in seiner Heimat erhielt er gar Morddrohungen. Als scharfer Kritiker der Auswirkungen der Globalisierung steht der Salesianer inhaltlich ausgerechnet jenem politischen Lager nahe, aus dem damals Pfeile gegen ihn abgeschossen wurden. Hunger wurzele nicht in einem Mangel an Ressourcen, betont er stets, sondern im "Fehlen gerechter Verteilungsmechanismen und Strukturen".
Zuletzt nahm Papst Franziskus, was ungewöhnlich ist, auch von Leitern wichtiger Diözesen der Weltkirche den Amtsverzicht schon zur kirchenrechtlichen Altersgrenze von 75 Jahren an - so etwa in Mailand, Mexiko oder Paris. Bleibt abzuwarten, wie er nun bei seinem Freund und Vertrauten aus Honduras verfährt.