Das Kreuz als Symbol für den gewaltsamen Tod Jesu war schon immer ein Zeichen des Anstoßes. Den Juden erschien es als Ärgernis, den Heiden als eine Torheit, erfuhr der Apostel Paulus, wenn er auf Marktplätzen und in Synagogen predigte. Im öffentlichen Raum einer zunehmend säkularen und multireligiösen Gesellschaft verliert die dominante Präsenz dieses für Christen zentralen Zeichens an Selbstverständlichkeit. Ob auf Bergen, in der Schule oder Gerichtssälen stellt sich die Frage: Aufhängen oder abnehmen?
Ein Miesbacher Jugendrichter hat dieser Tage im Prozess gegen einen afghanischen Asylbewerber das Kruzifix aus dem Verhandlungssaal entfernen lassen. Er wollte dem Angeklagten damit verdeutlichen, dass in Deutschland die Religion nicht über dem weltlichen Gesetz und auch nicht über der Justiz steht. Einen Anlass dafür bot der Fall selbst: Laut Zeugenaussagen hatte der 21-Jährige als Sympathisant eines radikalen Islam einen geflohenen Landsmann bedroht, weil dieser Christ geworden war.
Kreuze in Gerichtssälen
Laut Medienberichten erhielt der Richter daraufhin wütende Anrufe und böse E-Mails. Ohne Not habe er ein "kulturell-religiöses Hoheitssymbol" preisgegeben, so ein Vorwurf. Rechtlich ist der Fall klar. Der Richter hat einen Ermessensspielraum genutzt. Anders als in der Schule gibt es keine Rechtsvorschrift in Bayern, die die Justiz zur Anbringung von Kreuzen in Sitzungssälen verpflichtet.
Dass dort in der Regel Kruzifixe hängen, sei "Ausdruck der christlichen Tradition unseres Staatswesens", erklärt der Sprecher des Justizministeriums auf Anfrage. Seit wann das so ist, vermag er nicht zu sagen. Das Vorhandensein der Kreuze verstoße aber nicht gegen die staatliche Neutralitätspflicht. Niemand, weder Besucher noch Zeugen, Prozessvertreter oder Streitparteien, müsse sich "mit den darin symbolhaft verkörperten Ideen oder Institutionen identifizieren". Nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts kann jeder Richter selbst eine Kreuzabnahme verfügen, wenn sich Verfahrensbeteiligte in ihrer Glaubensfreiheit beeinträchtigt sehen.
Insbesondere um die bayerische Tradition der Schulkreuze gab es jahrzehntelang Streit, der im Parlament, auf der Straße und vor höchsten Gerichten teils erbittert ausgetragen wurde. 1995 erklärte Karlsruhe Kruzifixe in Klassenzimmern für verfassungswidrig.
Daraufhin demonstrierten mehrere Zehntausend auf dem Münchner Odeonsplatz, Bischöfe und CSU-geführte Staatsregierung im Schulterschluss. Am Ende sorgte ein nach Jahren wiederum höchstrichterlich bestätigtes Landesgesetz dafür, dass die Kreuze hängenblieben, in Einzelfällen aber auf Wunsch von Schülern, Eltern oder Lehrern entfernt werden müssen.
Von diesem Recht machten bisher nur wenige, vorwiegend atheistisch gesinnte Bürger Gebrauch. Durch die auch durch die jüngsten Fluchtbewegungen gewachsene Präsenz des Islam in Deutschland gewinnt der bisweilen mit kulturkämpferische Attitüde ausgetragene Konflikt an Schärfe, der sich schon an Kleinigkeiten immer wieder neu entzündet. Wo der eine auf religiöse Gefühle Andersgläubiger Rücksicht nehmen will, sieht der andere den Ausverkauf, ja die Unterwerfung des Eigenen unter das Fremde.
Wegretuschierte Kreuze
So handelte sich die Zugspitzbahn 2012 empörte Reaktionen ein, als sie für einen auf arabische Touristen zielenden Werbeprospekt das Kreuz vom höchsten Gipfel Deutschlands wegretuschierte. Im vergangenen Jahr sorgte ein Lebensmitteldiscounter nicht nur in Kirchenkreisen für Empörung, als er auf der Verpackung eines Feta-Käses das Kreuz von einer griechischen Kirchenkuppel vorsorglich verschwinden ließ.
Monatelang wurde 2017 auch in der Bundeshauptstadt gestritten, ob das Berliner Stadtschloss bei seiner Wiedererrichtung wieder ein Kreuz auf die Kuppel bekommen soll. Nicht zuletzt aus historischen Gründen entschied man sich am Ende für ja. Die Diskussionen werden weitergehen.
Der Miesbacher Richter hat eine andere Konsequenz gezogen. Nach der Aufregung will er das Kreuz nun gar nicht mehr aufhängen.