Über bildhafte Sprache in Zeiten der Regierungssuche

Das Gleichnis von den Jungfrauen

Gestern Zwerge, heute Jungfrauen. Im Ringen um die Bildung einer neuen Regierung beklagen Kritiker das Fehlen großer Visionen. An sprachlich eindrucksvollen Bildern herrscht zumindest kein Mangel.

Autor/in:
Joachim Heinz
Marienstatue in Lourdes (KNA)
Marienstatue in Lourdes / ( KNA )

Auf dem SPD-Sonderparteitag hatte Juso-Chef Kevin Kühnert seinen großen Auftritt. Mit der eingängigen Parole "Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können" warb er am Sonntag bei den Delegierten in Bonn dafür, gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu stimmen. Bekanntlich scheiterten Kühnert und seine Unterstützer mit diesem Ansinnen - wenn auch nur knapp.

Die Frage stellt sich, als was die SPD-Vertreter nun im weiteren Bemühen um eine Regierungsbildung ins Rennen gehen: als Zwerge, Riesen - oder Scheinriesen wie Herr Tur Tur aus Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". Der SPD-Vorsitzenden Martin Schulz hatte die undankbare Aufgabe, am gleichen Abend im ARD-Talk bei Anne Will das Votum zu verteidigen. Er versuchte sich bei seinem Plädoyer für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei in höherer Mathematik: "Ein Prozent von etwas sind mehr als hundert Prozent von nichts."

Im Mittelalter hip

Auf eine ganz andere Ebene hob die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die Debatte. Im Deutschlandfunk zitierte die Politikerin, von 2009 bis 2013 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am Montag aus der Bibel. Ihre Partei sei "jederzeit bereit, entweder in Wahlen zu gehen, oder auch in andere Gespräche zu gehen", sagte Göring-Eckardt und fügte hinzu. "Das ist so wie in dem biblischen Gleichnis mit den klugen und den törichten Jungfrauen." Die Stelle findet sich beim Evangelisten Matthäus und war vor allem im Mittelalter hip - das bezeugen zahlreiche figürliche Darstellungen an Portalen gotischer Kirchen.

Aber ob der gedankliche Übertrag auch beim Latte-Macchiato-Publikum im Regierungsviertel funktioniert? Denn natürlich geht es bei Matthäus nicht um die Regierungsbildung in Berlin, sondern um die Vorbereitung auf das Himmelreich. Dafür brauche es Wachsamkeit, gibt Jesus seinen Zuhörern mit auf den Weg. Um das zu veranschaulichen, vergleicht er die Situation mit zehn Jungfrauen, die dem Bräutigam mit ihren Lampen entgegengehen.

Wer führt die Jungfrauen an den Kabinettstisch?

"Die törichten hatten kein Öl mehr in ihren Lampen; die klugen schon", fasste Göring-Eckardt im Deutschlandfunk den weiteren Gang der Ereignisse zusammen. Zu den Folgen heißt es bei Matthäus, die klugen Jungfrauen hätten den Bräutigam in den Hochzeitssaal begleiten dürfen, die törichten vergeblich vor verschlossenen Türen gewartet. "Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde." Diese Lektion hat die Grünen-Politikerin offenbar für ihre Partei verinnerlicht: "Wir werden das Öl in den Lampen haben. Das heißt, wir werden programmatisch vorbereitet sein und wir haben auch Lust darauf, in diesem Land zu gestalten."

Wer aber wird der Bräutigam sein, der dereinst die bei den Grünen beheimateten klugen Jungfrauen an den Kabinettstisch führt? Bei diesem Bild an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu denken, fällt schwer. Und übersteigt offenbar auch das Vorstellungsvermögen von Katrin Göring-Eckardt, wie sie einräumte. Auf die Frage, ob sie "doch noch" an "Jamaika II", also eine Neuauflage der Sondierungen von Grünen, FDP und Union glaube, antwortete die Politikerin: "Ich glaube nicht. Glauben tue ich eh nur an den lieben Gott."


Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler (dpa)
Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA