DOMRADIO.DE: Regierungen in Europa und den USA sprechen offen über Rückführungsmaßnahmen von Syrern bis hin zu erzwungenen Rückführungen. Deshalb schlägt ein Bündnis von Hilfsorganisationen, an dem "Save the children" beteiligt ist, jetzt Alarm. Mit dem gemeinsamen Bericht "Dangerous Grounds", gefährlicher Boden, warnen Sie eindringlich davor, Flüchtlinge aus Syrien zu einer Rückkehr zu zwingen, bevor der Krieg nicht vorbei ist. Was ist der Stand der Dinge? Sind schon syrische Flüchtlinge gegen ihren Willen zurückgeschickt worden oder sind das bisher Drohungen?
Jacqueline Dürre (Save the Children): Es gibt Syrer, die in ihre Heimat zurückgeführt worden sind. Natürlich gibt es aber auch Syrer, die freiwillig zurückgekehrt sind. Dies sind zum einen Syrer, die im eigenen Land vertrieben waren. Das heißt, sie sind vor Kampfhandlungen in andere Ortschaften geflohen. Nachdem sich dann die Situation beruhigt hatte, sind sie in ihren Heimatort zurückgekehrt.
Zum anderen gibt es auch Syrer, die aufgrund der prekären Lage in den Nachbarländern zurückgekehrt sind. Viele Syrer haben im Libanon, der Türkei oder Jordanien einen ungeklärten Aufenthaltsstatus und leben in ständiger Angst vor den Behörden. Sie haben kaum Zugang zur Bildung. 43 Prozent aller syrischen Kinder außerhalb Syriens gehen nicht zur Schule und ein Großteil der Syrer lebt auch in Armut.
DOMRADIO.DE: Warum mehren sich denn Stimmen, dass der Krieg in Syrien vorbei sei?
Dürre: Natürlich existieren verschiedene Konfliktlinien in Syrien. Der Konflikt als solcher verändert sich, aber auch die politische Rhetorik in einigen der involvierten Länder ändert sich ganz unabhängig von der Situation in Syrien. Diese ist weiterhin verheerend. Auch im siebten Jahr des Krieges. Die Kampfhandlungen halten an und das humanitäre Völkerrecht wird nicht eingehalten. Wir wissen von Schulen und Krankenhäusern, die angegriffen werden und Menschen, die in Belagerung leben. Im ganzen Land sind auch Minen und Blindgänger durch die Kampfhandlungen verteilt. Das heißt, Syrien ist nicht sicher.
DOMRADIO.DE: Manche sind der Ansicht, dass man in Deutschland und Europa sehr viele Syrer aufgenommen habe. In Ihrem Bericht steht das genaue Gegenteil.
Dürre: Sechs Millionen Menschen sind innerhalb von Syrien vertrieben. Das heißt, sie suchen Schutz im eigenen Land. Dort, wo die Situation besser und ruhiger ist. Es gibt fünf Millionen, die in den Nachbarländern Syriens Zuflucht suchen - in der Türkei, im Libanon und Jordanien, einige auch im Irak. Rund eine Million Syrer sind nach Europa geflohen.
Es gibt Aufnahmeprogramme, geleitet von den Vereinten Nationen, die dafür sorgen sollen, dass mehr Geflüchtete wie Kinder und unbegleitete Minderjährige auch an sogenannte Geberstaaten verteilt und dort aufgenommen werden. Allerdings werden diese Zahlen immer geringer und viele Syrer leben unter prekären Umständen in den Nachbarländern.
DOMRADIO.DE: Was also ist vor diesem Hintergrund Ihr Appell an die Staatengemeinschaft?
Dürre: Es ist ganz wichtig, dass kein Mensch zur verfrühten Rückkehr nach Syrien gezwungen werden darf. Es muss erst einmal eine politische Lösung für diesen Konflikt geben und es muss, ganz einfach gesagt, Frieden herrschen und der Wiederaufbau geleistet werden. Die Menschen müssen sicher sein und es muss eine gewisse Basisversorgung geben. Kinder müssen zur Schule gehen können und es muss Gesundheitsversorgung existieren. Vorher dürfen Menschen nicht gezwungen werden, nach Syrien zurückzukehren.
Das Interview führte Hilde Regeniter.