DOMRADIO.DE: Mit was für Gefühlen haben Sie als liberale Muslimin den Besuch des streng konservativ muslimschen Präsidenten beim Papst verfolgt?
Seyran Ates (Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin): Ich war sehr erschrocken, aber nicht in dem Maße, dass es mich erstaunt. Es ist schon sehr interessant, was sich Erdogan immer wieder neu ausdenkt. Schließlich hat er vor einigen Jahren den Prediger Fethullah Gülen als Christ geoutet, weil er den Papst getroffen hat. Auf YouTube kann man sehen, dass Gülen mit hässlichen Vergleichen diffamiert wird. Die zynische Frage wäre jetzt: Ist Herr Erdogan jetzt konvertiert, weil er den Papst getroffen hat? Etwas Gutes kann ich insgesamt dabei nicht denken.
DOMRADIO.DE: Man hört jetzt auch, Erdogan prahle mit dem Treffen. Wie sehen Sie das? Geht es da um eine Profilierung?
Ates: Um Profilierung geht es Herrn Erdogan immer. Er sucht immer wieder Streit, anschließend sucht er dann Freundschaft – mit Putin und auch in der Sache mit Israel. Er ist schon eine Wendehals, man weiß nie in welche Richtung er beim nächsten Mal geht. Er tut viel Widersprüchliches, aber er hat eine Linie, die klar ist. Offensichtlich versucht er, sich sozusagen als islamischer Führer auf Augenhöhe mit Franziskus zu präsentieren. Damit will er zeigen, dass er der große Führer der muslimischen Gemeinschaft ist. Das könnte ein Motiv sein.
DOMRADIO.DE: Könnten Sie sich vorstellen, dass das Treffen der beiden im Vatikan irgendetwas Positives bewirken kann? Zum Beispiel für die Menschen in der Türkei und die vielen Flüchtlinge, die dort untergekommen sind?
Ates: Ich kann das leider nicht positiv sehen. Wenn man Erdogans Politik in den letzten Jahrzehnten verfolgt: Er hat auch den Friedensprozess mit den Kurden begonnen und jetzt geht er gegen sie vor, unter Brechung völkerrechtlicher Gesetze. Er hat ganz sicher nichts Gutes im Sinn. Das heißt: Er betreibt reine Imagepflege. Wenn es gerade mal nicht gut läuft, fällt ihm etwas Gutes ein, wie er sein Image verbessern kann. Darin ist er Profi. Er wird sich jetzt bei seinen Leuten so zeigen können, als derjenige, der die Hand reicht. Wenn man also nicht Frieden mit ihm eingeht, sind die anderen die Bösen.
Das Gespräch führte Verena Tröster.