Manchmal sind Koinzidenzen besonders denkwürdig und sogar peinlich: Am selben Tag, an dem Sachsen-Anhalts AfD-Chef Poggenburg unter dem Gejohle seiner Anhänger gegen Türken in Deutschland als "Kameltreiber" und "Kümmelhändler" und gegen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft als "vaterlandsloses Gesindel" geiferte, ""das wir hier nicht länger haben wollen", wurde bekannt gegeben, dass erstmals ein AfD-Funktionär – anders als beim Evangelischen Kirchentag sogar ein hoher – auf ein Katholikentagspodium geladen ist. Vom Sog des Erfolgs der Rechtspopulisten hat sich nun auch der verfasste Katholizismus beeindrucken lassen.
Als Vorboten taten sich 2017 schon die Bischöfe von Regensburg und Passau hervor, auf deren Linie man das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sonst eher nicht vermutet. Stefan Oster prognostizierte in einem Interview eine "Entkrampfung" im Verhältnis von Kirche und AfD – als ginge es nur um atmosphärische Störungen. Rudolf Voderholzer predigte: "Hirte sein für alle, auch für die, die sich verirrt haben", bedeute, sie "zurückzugewinnen versuchen" statt ihnen "durch die Verurteilung ganzer Parteien noch einen Fußtritt zu geben". Man stelle sich diese Hirtenlogik mal für das Jahr 1930 vor! Um "Fußtritte" gegen Poggenburgs Partei und Klientel geht es in den bisher klaren kirchlichen Positionierungen mitnichten. Man wundert sich, dass ausgerechnet zwei ehemalige Theologieprofessoren derart unterkomplex daherreden.
"Erfurter Resolution" unterschrieben
Das ZdK rechtfertigte die Entscheidung damit, man lade ja "nicht die Partei ein", sondern "immer Personen, die für ein Thema stehen". Fadenscheiniger geht’s nicht, denn Herrn Volker Münz aus Uhingen, Abteilungsleiter einer Bank und evangelischer Bezirkssynodaler, wäre ohne AfD-Rolle (kirchenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion) gewiss nie auf einem Katholikentagspodium gelandet. Von "Christ und Welt" (15.2.) gefragt: "Haben Sie und das ZdK sich vorab über seine politische Vita informiert?", gab ZdK-Präsident Sternberg denn auch zu: "Nein, bis jetzt noch nicht". Eine Personen-Auswahl würde gründliche Information aber voraussetzen – und das nicht erst seit einer folgenreichen vatikanischen Panne im Jahr 2009... Auch die Besetzung des Podiums mit weiteren religionspolitischen Sprechern zeigt, dass es hier um Parteien geht. Also auch um eine Einladung an die AfD. Wofür die Person Münz "steht", kann man übrigens an der 2015 von Höcke und Poggenburg initiierten "Erfurter Resolution" des Pegida-nahen "Flügels" von AfD-Rechtsaußen nachlesen. Sie richtete sich gegen den Kurs des um Mäßigung bemühten Parteichefs Lucke. Münz hat unterschrieben.
Ernstzunehmender ist das zweite ZdK-Argument: Die AfD dürfe "keine Gelegenheit bekommen, sich als Märtyrer zu inszenieren". Das tut sie jedoch sowieso dauernd, und sei es anlässlich eines umstrittenen oder ausgebuhten Podiumsteilnehmers. Rechtspopulisten pflegen überall die Selbstviktimisierung, selbst dort noch, wo sie an der Macht sind und in Wirklichkeit andere zu Opfern ihrer autoritären Politik werden. Beschwichtigung durch Einladung hat zudem auch andere Effekte, die sorgsam abgewogen werden müssen. Denn sie gibt dem AfD-Vertreter, der sich an sein Publikum anzupassen versteht (deswegen ja "Populismus") und vor Kirchenpublikum eher "Kreide frisst", die Gelegenheit, sich in die Pose der verfolgten Unschuld und des christlichen Retters vor "Islamisierung", "Genderterror", "Frühsexualisierung", "Zerstörung" der Familie und Abtreibung zu werfen. Demagogisch geschickt verpackt, wird das bei einem Teil des Publikums ziehen, Ressentiments wecken oder verstärken und Vorbehalte gegenüber der AfD abbauen, nach dem Motto: "Ist doch gar nicht so schlimm", "Hat ja auch was Richtiges gesagt". Am Ende hat man in der Absicht den "Märtyrer" zu vermeiden doch den Märtyrer bekommen – und den Heiligen dazu: in Gestalt des AfD-"Gutmenschen".
Fatales Dementi
Jedenfalls ist der Preis zur Vermeidung der Opferrolle hoch. Gerade eine Kircheneinladung trägt zur Normalisierung der AfD, zu ihrer "Salonfähigkeit" bei. Ein Kirchentag ist nicht irgendeine Talkshow, sondern ein Dialog auf zwar nicht unbedingt religiösen, aber doch ethischen Voraussetzungen. Mit diesem gewichtigen Argument – des von der AfD aufgekündigten Grundkonsenses – hatte man die Partei 2015/16 von kirchlichen Lautsprechern ferngehalten. Dass man sie nach ihrer Radikalisierung nun aber einlädt, ist widersinnig. Ein fatales Dementi der damaligen Entscheidung.
Dagegen wird – so das dritte ZdK-Argument – eingewandt: Die AfD sitze ja nun, anders als damals, im Bundestag. Ein vor dem Hintergrund der deutschen Parlamentsgeschichte bestürzend opportunistisches, platt machtpositivistisches Argument. Es ist nicht Aufgabe einer Kirche, das Gespräch aller mit allen über alles zu organisieren, soweit sie nur von einer gewissen Masse gewählt werden. Die "normative Kraft des Faktischen" mag sich in der Politik Bahn brechen. In einer Kirche muss sie auf Barrieren und Dämme stoßen, die nicht ohne Revision der ethischen Analyse (die nach einem wissenschaftlichen Gutachten von 2017 eindeutig ausfällt) geräumt werden. Podien kirchlicher Großveranstaltungen sind auch keine Gelegenheit, sich als Sparringspartner von Vertretern menschenfeindlicher Gruppierungen in "Entzauberung" zu profilieren. Es mag verführerisch sein, dabei eine Mehrheit des Publikums hinter sich und Kameras vor sich zu wissen. Der Schaden aber entsteht im Stillen, Unsichtbaren: bei den sich allmählich addierenden Publikumsminderheiten, die aus Naivität, Frust oder eigener Fanatisierbarkeit verunsichert, verführt oder bestärkt werden. So sickert das rechtspopulistische Gift langsam in die Gesellschaft ein.
Stunde der Scheidung der Geister
Mit Populisten, ja sogar Extremisten zu reden versuchen, das können und müssen Kirchen und Christen durchaus: individuell im Alltag sowieso, auf Wunsch von AfD-Mandatsträgern auch in katholischen Verbindungsbüros zu den politischen Institutionen von Bund und Ländern. Aber so destruktiven Kräften, wie es die AfD als konservativ-rechtsradikales Gemeinschaftsprojekt geworden ist, neue Räume öffentlicher Agitation zu eröffnen, ist falsch verstandene Inklusion derer, die exkludieren. Die ZdK-Entscheidung geht auf Kosten der Opfer von AfD-Hetzern, übrigens auch des Opfers derer, die sich gegen sie engagieren und dafür nicht selten verleumdet, bedroht und schikaniert werden. Ihnen gegenüber haben Katholiken-Organisationen glasklar solidarisch zu sein, statt sie zu desavouieren durch die Sorge um Ausgrenzungsklagen von AfD-Politikern oder kirchlich einer kleinen, aber lautstarken rechtspopulistisch-katholischen Szene. Deren ideologische Ahnen halfen schon, teils in ähnlicher Weise wie heute, die Weimarer Demokratie mit sturmreif zu schießen.
Eine Partei, deren Grundsatzprogramm und Rhetorik unseren demokratischen Rechtstaat als Quasi-Diktatur verleumdet und, so Kardinal Woelki, "eine der großen Weltreligionen in gehässiger Absicht an den Pranger gestellt", hat auf Katholikentagspodien nichts zu suchen. Verstehen die oberpragmatischen Routiniers des Staat-Kirche-Parteien-Arrangements nicht die "Zeichen der Zeit"? Laufen sie im alten Modus weiter, obwohl die Lage national wie international grundlegend verändert ist? Meinen sie der dramatischen päpstlichen Warnung vor dem Rechtspopulismus dadurch gerecht zu werden, dass sie Rechtspopulisten kirchliche Mikros vor die Nase halten? Oder zur AfD erklären: "Ich halte diese Partei nicht für so wichtig", wie der ZdK-Präsident? Jetzt ist offenbar nicht ihre Stunde, sondern die der Scheidung der Geister. Und dazu gehört die klare Ansage: Für uns ist nicht alles diskutabel – und somit auch nicht jeder. Jedenfalls nicht auf einer christlichen Veranstaltung.
Der Autor
Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.