DOMRADIO.DE: Sechs Ministerposten hat die CDU zu vergeben, falls die SPD-Mitglieder einer Neuauflage der großen Koalition zustimmen. Kurz vor dem Bundesparteitag hat die Kanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel am Sonntagabend Klarheit in den Personalien geschaffen. Annegret-Kramp Karrenbauer als Generalsekretärin, die Minister Klöckner, Karnliczek, Braun, Spahn und Altmaier – alle bekennen sich zu ihrem katholischen Glauben. Was heißt das denn für die neue Regierung?
Christoph Strack (Hauptstadtbüro Deutsche Welle): Ein Politikwissenschaftler hat am Rande des Parteitags getwittert, die Ära protestantischer Dominanz gehe jetzt zu Ende. Das ist mir zu sehr Kampfbegriff. Denn auch schon während der vergangenen vier Jahre und generell in der Berliner Republik bedeutete die Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis nicht, dass eine Gruppe bevorzugt oder bestimmte Themen besonders gepflegt wurden. Aber man merkt, dass diese Politiker - seien sie katholisch oder evangelisch - von einer bestimmten Prägung getragen in die Politik gegangen sind. Und das wird sich vielleicht auch bei bestimmten politischen Themen auswirken, sehr konkret vielleicht bei der Frage der Flüchtlingshilfe und beim Engagement für ein offenes Europa und ein offenes Deutschland, aber darüber hinaus vielleicht auch bei Bioethik-Themen.
Wichtiger als jeder einzelne Minister ist sicherlich die Personalie der Generalsekretärin der CDU. Annegret-Kramp Karrenbauer hat am Montag in ihrer Bewerbungsrede wirklich so gewirkt, als solle sie eine Überzeugungsrede für ihre Pfarrgemeinde leisten. Man spürte, dass diese Frau getragen ist, von dem, was sie politisch bewirken will, und dass es gesellschaftliche Verantwortung ist, wie es jeder Katholik für sich formulieren sollte.
DOMRADIO.DE: Annegret-Kramp Karrenbauer hat am Wochenende gesagt, dass sie das christliche Menschenbild als Grundlage ihrer Politik sieht. Wir reden aber mehr und mehr über den interreligiösen Dialog, in der Flüchtlingspolitik zum Beispiel. Was heißt da "christliche" Politik?
Strack: Das christliche Menschenbild wird in diesen Tagen häufig in der CDU zitiert. Als Angela Merkel vor rund einer Woche Annegret Kramp-Karrenbauer als designierte Generalsekretärin vorstellte, sprach sie selbst zweimal vom christlichen Menschenbild – und das tut sie eher selten.
Auch gestern bei den Reden von Merkel und Kramp-Karrenbauer kam das christliche Menschenbild vor. Es bedeutet grundlegend: Keine Abschottung, keine Abgrenzung, kein Ausschluss anderer konfessioneller oder religiöser Prägung. Es steht dafür, woher die Menschen kommen, die in Deutschland Politik machen: Dass sie davon getragen sind, dass man in einer Gemeinschaft Verantwortung übernehmen muss. Vielleicht fällt auch deshalb auf, dass der Verweis auf das christliche Menschenbild öfter kommt. Das ist keine Exklusion anderer Gruppen oder Nichtgläubiger, sondern es zeigt einfach, wie diese politischen Akteure geprägt sind.
DOMRADIO.DE: Das klingt jetzt etwas schwammig. Schauen wir mal auf die konkreten Themen in der Politik, wie etwa Suizidbeihilfe und das Abtreibungswerbeverbot. Die CDU ist nur eine der drei Regierungsparteien. Kommt man damit durch?
Strack: Man mag es noch schaffen, sich in der Regierung durchzusetzen, weil die Politiker von CDU und CSU ähnlich ticken und geprägt sind. Es mag sogar sein, dass man auch bei den SPD-Ministern auf den ein oder anderen gemeinsamen Nenner kommt. Aber die gesetzlichen Änderungen werden vom Parlament geprägt. Es ist davon auszugehen, dass der Bundestag als Ganzes in der Frage der Suizidbeihilfe vermutlich den Kurs der großen Koalition stärken will. Bei der Frage des Abtreibungswerbungsverbots ist es schon anders, weil da die SPD in eine andere Richtung geht als die Union.
Auch die meisten Oppositionsparteien gehen in eine andere Richtung. Deswegen ist abzuwarten, ob es überhaupt eine Mehrheit gegen dieses Gesetz geben kann. Trotzdem ist klar, die Unionspolitiker sind sicher auch aus ihrer konfessionellen Prägung her ein stückweit sensibilisiert, mit diesen Themen umzugehen. Aber das sind Fragen bei denen jeder Politiker für sich selbst entscheiden muss.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite der Regierungsbank könnte die SPD sitzen, deren designierte Chefin Andrea Nahles auch engagiert katholisch ist. Wie steht sie denn zur Kirche?
Strack: Sie hat schon vor vielen Jahren ihre politische Biografie vorgelegt: "Frau, gläubig, links". Man weiß von ihrem Glauben nicht nur aus diesem Buch, sondern auch von Erzählungen von Freunden aus ihrer Jugendzeit und auch vom Trierer Bischof Stephan Ackermann. Er war Pfarrer in der Nähe der Heimatgemeinde von Andrea Nahles. Sie kennen sich aus diesen Zeiten, denn Andrea Nahles war das erste Mädchen in ihrer Heimatgemeinde, die Messdienerin werden wollte - und die es dann auch geschafft hat.
Noch wichtiger als ihre biographischen Erinnerungen ist die heutige Prägung. Man weiß, dass Andrea Nahles natürlich von der christlichen Soziallehre geprägt ist. Sie ist damit längst nicht die einzige in ihrer Partei und Fraktion. Sie ist zugänglich für politische Mitsprache von kirchlichen Akteuren, wenn diese Mitsprache qualifiziert ist. Wenn es zum Beispiel bei Fragen der Flüchtlingshilfe, der internationalen Verantwortung, der Solidarität innerhalb der deutschen Gesellschaft Einwürfe von kirchlichen Akteuren gibt, ist Andrea Nahles dafür zugänglich. Man merkt, dass sie eine Person ist, die damit umgehen kann.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.