DOMRADIO.DE: Macron und Merkel könnten nun also tatsächlich versuchen die Europäische Union neu aufzustellen und ihre Freundschaft zu stärken. Wie nehmen Sie das auf französischer Seite wahr?
Stefan Lunte, (Berater der Kommission der Bischofskonferenzen der EU sowie Chefredakteur und Herausgeber einer französischen Wochenzeitung): In Frankreich haben sich Erwartung entwickelt. Was können die beiden wirklich bewegen? Ich denke, sie wollen sicher in zwei Richtungen arbeiten. Er hat die Idee, einen neuen Élysée-Vertrag (Anm. d. Red. bezeichnet den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963, den Bundeskanzler Konrad Adenauer Staatspräsidenten Charles de Gaulle unterzeichneten) aufzustellen, indem die deutsch-französische Zusammenarbeit noch mal stärker ausgebaut werden soll. Dafür gibt es insgesamt eine große Zustimmung aus der französischen Bevölkerung.
Was aber seine Vorschläge angeht, die Europäischen Union weiterzuentwickeln, da bin ich eher skeptisch, ob das so einen riesen Anklang in der Bevölkerung findet. Man darf ja nicht vergessen, dass Macron in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl nur mit 20 Prozent der Stimmen gewählt wurde und erst in der zweiten Runde – um Le Pen zu verhindern – mit einer deutlichen Mehrheit Präsident wurde.
DOMRADIO.DE: Aber die Idee vom neuen Europa Macrons ist ja nicht so ganz ohne: ein gemeinsamer Eurozonen-Haushalt, ein gemeinsames Militär oder einheitlichere Steuern. Kann Macron damit bei den Franzosen punkten? Bei der Opposition sicher nicht…
Lunte: Bei der Opposition nur eingeschränkt, weil sie das nicht als realisitsch sehen. Man muss ja sehen, dass eine Reihe von diesen Vorschlägen dann letztlich auch zu Veränderung des EU-Vertrags führen. Die wiederrum müssten von allen Mitgliedsländern ratifiziert werden. Und das wiederum wissen wir aus der Vergangenheit, ist eine heikle Geschichte. Da gibt es schon eine gewisse Skepsis.
DOMRADIO.DE: Und jetzt noch mal mit dem Blick der deutschen Sicht?
Lunte: Wenn ich jetzt mal aus deutscher Sicht zurückfragen darf, wenn man sich da in diese Richtung bewegt, eine gemeinsame Verteidigung aufzubauen, dann wäre vielleicht auch gut, dass wir so etwas wie eine gemeinsame europäische Doktrin bei dem Waffenexporten entwickeln und da liegen Deutschland und Frankreich doch noch weit auseinander.
DOMRADIO.DE: Macrons neues Europa würde für die europäischen Partner ja einen teilweisen Verlust der Souveränität bedeuten. Während auf der anderen Seite die Populisten gerade Aufwind erfahren, etwa in den Regierungen von Ungarn, Österreich, Polen, neuerdings wohl auch Italien… Hat das überhaupt alles Sinn?
Lunte: Das ist die große Frage. Auch die beiden, die sich ja heute in Paris treffen, müssen noch eine Antwort präsentieren. Wie gelingt es der EU diese Länderregierungen einigermaßen in das europäische Boot reinzuholen? Sie sind bei vielen Punkten doch noch ziemlich weit von dem euopäischen Gedanken entfernt.
DOMRADIO.DE: Wie könnten sie das anstellen?
Lunte: Da muss man sagen, es fehlt eigentlich auch zurzeit an Vorschlägen zum Beispiel im Bereich des europäischen Haushalts, wie diesen Mitgliedsstaaten neue Argumente geliefert werden können, damit sie bei der EU weiter aktiv mitmachen?
DOMRADIO.DE: Der angestrebte Kurs des französischen Ministerpräsidenten will, dass Europa enger zusammenwächst. Wie sehen das die europäischen Bischöfe? Wie sieht man den Macron-Kurs in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft?
Lunte: Da gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Aber wo sich alle Bischöfe einig sind, dass dieses Projekt der europäischen Einigung zurzeit weiterhin das einzige einigermaßen glaubwürdige Projekt auf dem europäischen Tisch ist, über das wir reden können, damit es Europa besser geht und mit dem Europa einen Beitrag für eine bessere Welt leisten kann. Da sind sich die Bischöfe einig.
Das Interview führte Tobias Fricke.