Die Sixtinische Kapelle hat nun eine Art Jugendabteilung. Ein digital gezaubertes Wunderwerk, projiziert auf die Wände des eigens umgebauten Auditoriums an der Prachtstraße zum Petersdom, belebt von Schauspielern, Musik, Licht- und Bühnentechnik. Der das erdacht hat, ist Marco Balich, Schöpfer großer Zeremonien zu Olympischen Spielen und anderen Massenevents. Jetzt hat er sich daran gewagt, das Jüngste Gericht Michelangelos zeitgemäß zu erschließen.
Es ist eine Gänsehautmaschine für die Generation Instagram. Die Initiative, das betont der Vatikan, ging von Balich aus - der schon weitere ähnliche Projekte in Städten wie Mailand oder Florenz plant. Nichtsdestoweniger spricht die Direktorin der Vatikanischen Museen, Barbara Jatta, anerkennend von einer Synthese von Tradition und Innovation, besonders was den Zugang junger Menschen zur Kunst angeht. Auch leisteten die Museen beratende Unterstützung.
Sinnliches Spektakel
So steckt viel Sorgfalt in den 270-Grad-Projektionen, in denen sich die Geschichte Michelangelos entfaltet: In fließend verbundenen Episoden erzählt die einstündige Bühnenshow vom Wirken des Florentiner Universalgenies, vom Entstehen der Wand- und Deckenfresken der Sixtina, deren theologische Bezüge sie fast beiläufig erläutert; sie schildert in stimmungsvollen Bildern die geheimste Zeremonie der Kapelle, das Konklave, und endet bei ihrem letzten und größten Kunstwerk: dem Jüngsten Gericht.
"Giudizio Universale" ist ein sinnliches Spektakel: Glocken schwingen, Kardinäle schweben, Michelangelo pendelt von der Decke der Sixtina, zur Papstwahl verströmt ein Kamin weißen Rauch mit Weihrauchduft. Die Choreografie von Fotis Nikolaou, die Musik von John Metcalfe, die Kostüme, das Lichtdesign - alles zielt darauf, den Betrachter wie in Trance und Zeitraffer durch das Rom des 16. Jahrhunderts zu führen.
Das Jüngste Gericht begleitet Sting. Er hat das "Dies irae" neu vertont, jenen mittelalterlichen Hymnus, mit dem Generationen von Betern voller Bangen und Hoffnung vor ihren letzten Richter traten. Selten wohl wurde der "Rex tremendae maiestatis", der "König furchterregender Hoheit" unbeschwerter in Dur angesungen als von dem ehemaligen Jesuitenschüler.
Bis zum Start am 16. März gingen 35.000 Eintrittskarten für "Giudizio Universale" weg. Das klingt stattlich und ist doch nur das Doppelte dessen, was die echte Sixtina an einem durchschnittlichen Tag an Touristen sieht. Der Besucherdruck gilt seit langem als logistisches und konservatorisches Problem. Dabei bestreitet das Museum, man wolle ein bestimmtes Spektrum von Gästen in das digitale Surrogat umleiten.
Nicht ohne Grund ziehen Kardinäle sich zum Konklave in die Sixtina zurück, vor den Weltenrichter Michelangelos. Zu normalen Besuchstagen ist die Kapelle nicht einmal mehr für Hartgesottene ein Andachtsraum der Kunst. Das Gedränge gleicht dem römischen Flohmarkt Porta Portese, nur dass es dort um Nippes und Plunder geht und hier um ein Heiligtum der abendländischen Kultur. Lulu Helbek, Co-Regisseurin von "Giudizio Universale", bringt das Dilemma auf den Punkt: Der Mensch lebe von jener Schönheit, die man selbst in der Sixtina nicht mehr mit der nötigen Ruhe finden könne.
Vom Licht ins Licht
Des Problems ist sich auch Dario Vigano bewusst, Leiter des päpstlichen Mediensekretariats. Beim Pressetermin teilte er subtile Beobachtungen über Kunst als Protagonistin televisiver Narrative, Dekomposition und Rekomposition von Bildern mit. Konkreter seine Mahnung, Kunst müsse vor Verschleiß durch Massentourismus bewahrt werden. Das klingt, als gebe es im Vatikan eine Debatte über Obergrenzen für Besucherzahlen der Sixtina.
Mit neun Millionen Euro werden die Kosten von "Giudizio Universale" beziffert, finanziert von Privatleuten, "die an den Diskurs von Schönheit und Qualität glauben". Die Schau soll eine Lücke in Rom füllen, das seinen Gästen bislang keine Musicals oder Bühnenshows zu bieten hat. Kulturminister Dario Franceschini übernahm deshalb die Schirmherrschaft. Natürlich kassieren die Vatikanischen Museen einen Obolus für die Bildrechte. Wie viel, sagt die Direktion nicht. Eine "lächerliche Summe", heißt es.
Die Schlusstakte von "Giudizio Universale" gehören dem swingenden Sting. Strahlenbündel im dunklen Auditorium heben Blick und Gemüt der Zuschauer noch einmal empor, bevor sie zu einer gleißenden Scheibe verschmelzen. Wir kommen aus Licht und gehen ins Licht. Die Show solle diejenigen erreichen, "die gewohnt sind, 20-Sekunden-Videos auf dem Smartphone zu schauen", sagt Balich. Michelangelo schuf ein Werk für die Ewigkeit. Balich lässt es für einen Augenblick funkeln.