Das Grundeinkommen für Jedermann klingt verlockend: Jedem Menschen würde der Staat bedingungslos monatlich zur Existenzsicherung einen bestimmten Geldbetrag überweisen. Das aber geht selbst Michael Müller (SPD) zu weit. Der Regierende Bürgermeister von Berlin findet aber eine Spielart des Konzepts faszinierend: Das solidarische Grundeinkommen. Doch auch daran scheiden sich die Geister.
Müller wirbt dafür, dass Arbeitslosen künftig ein steuerfinanzierter Vollzeit-Job auf Mindestlohnniveau angeboten werden soll - auf freiwilliger Basis. Verdienst: Mindestens 1.200 Euro netto pro Monat - das solidarische Grundeinkommen.
Notwendige Arbeit entsprechend bezahlen
Müllers Ansatz ist jedoch weit entfernt von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, das der evangelische Theologe Gerhard Wegner als "soziale Illusion" bezeichnet. Müller schlägt lediglich vor, ohnehin notwendige Arbeit auch entsprechend zu bezahlen: "Ich bin sicher, jedem von uns fällt einiges ein, was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich ist: Sperrmüllbeseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, vielfältige ehrenamtliche Tätigkeiten wie in der Flüchtlingshilfe, als Lesepatin oder im Sportverein als Übungsleiter und und und."
Müller hält Hartz IV mit Blick auf die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit für gescheitert und propagiert den Plan, "das Geld für die bürokratische Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe besser für fair bezahlte Arbeit" einzusetzen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) unterstützt den Vorstoß. "Wir sollten diesen Gedanken des Regierenden Bürgermeisters aufnehmen, ernst nehmen und ihn weiterdenken. Am Ende eines solchen Prozesses könnte das Ende von Hartz IV stehen", sagte Dreyer dem "Tagesspiegel" (Montag).
"Ein-Euro-Jobs de luxe"
Für den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), Marcel Fratzscher, wäre das "ein grundlegender Mentalitätswechsel". Man vermittle die Botschaft, dass jeder Mensch Anspruch auf eine ordentliche Arbeit hat, von der er leben könne: "Keiner muss sich mehr sorgen, arbeitslos zu bleiben und aus den Sanktionsschleifen des Hartz-IV-Systems nicht mehr herauszukommen."
Den Sozialforscher Christoph Butterwegge überzeugt das nicht. Er wirft Müller "Etikettenschwindel" vor - es handele sich beim solidarischen Grundeinkommen um "Ein-Euro-Jobs de luxe". Solidarisch wäre es, diese Form der Arbeit tariflich zu entlohnen, sagt Butterwegge.
Darauf beharrt auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der aber grundsätzlich Zustimmung signalisiert. Wenn Müllers Vorschlag umgesetzt werde, könnte der Teufelskreis von Entmutigung und Langzeitarbeitslosigkeit durchbrochen werden, sagte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Wichtig sei aber, "dass es sich um gute Arbeit handelt: sozialversicherungspflichtig und tariflich bezahlt" - und das käme den Fiskus teuer zu stehen.
Interessant dürfte sein, wie Müllers Vorhaben mit dem Koalitionsvertrag in Übereinstimmung zu bringen ist. Danach wird versprochen, Langzeitarbeitslosigkeit "mit einem ganzheitlichen Ansatz" anzugehen, mit einem "sozialen Arbeitsmarkt", für den das Sozialgesetzbuch II um "ein unbürokratisches Regelinstrument" erweitert werden soll. Ziel ist es, Jobs für bis zu 150.000 Menschen zu schaffen.
Alternative zu Hartz IV?
Müller sieht hier nach eigenen Worten eine Chance, "die Idee des solidarischen Grundeinkommens aufzugreifen und zu zeigen, dass es eine Alternative zu Hartz IV geben kann". Die Kosten für ein solches Grundeinkommen bezifferte Müller auf 500 Millionen Euro für 100.000 Bezieher.
Kritik am Ausbau des sozialen Arbeitsmarktes äußerte Christoph M. Schmidt, der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen und Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. Damit gebe man mehr oder weniger das Ziel auf, Langzeitarbeitslose irgendwann wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, sagte der Experte der "Welt am Sonntag".
Der Philosoph und Pädagoge Ronald Blaschke warf Müller vor, den Namen des Grundeinkommenskonzepts des SPD-Kreisverbandes Rhein-Erft aus dem Jahr 2010 zu nutzen, aber dessen Idee nicht zu verstehen. Der Gründer des Netzwerks Grundeinkommen verwies darauf, dass es sich beim SPD-Ansatz "um ein ohne Bedürftigkeitsprüfung und Zwang zur Arbeit oder Gegenleistung individuell garantiertes Grundeinkommen" handele. Nur ein solches Konzept habe das Potenzial, akzeptiert zu werden.