DOMRADIO.DE: Die Frage ist vor dem Gericht gelandet, nachdem eine konfessionslose Frau geklagt hatte, weil sie im Jahr 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung in Berlin nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Dürfen kirchliche Arbeitgeber sich aussuchen, ob sie nur Mitglieder "ihrer" Kirche anstellen? Oder ist das eine Art Diskriminierung aus religiösen Gründen?
Prof. Dr. Gregor Thüsing (Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn): Wenn man das Juristische einmal ausblendet, so ist das langgeübte Praxis. Es ist nicht nur die Praxis der Kirchen, sondern auch anderer Tendenzarbeitgeber. Wer sich beispielsweise bei einer Gewerkschaft bewirbt, sollte eine gewisse ideologische Nähe zur Gewerkschaft haben. Wer sich bei einer Partei bewirbt, dem sollten die Ziele dieser Partei nicht ganz fremd sein.
Gleichfalls ist es auch so, dass die Kirche regelmäßig bei ihren Mitarbeitern verlangt, dass sie ihrer Konfession angehören oder zumindest Angehöriger christlicher Kirchen sind. In diesem konkreten Fall war es so. Das hat aber die Bewerberin nicht akzeptieren wollen, und sie ist aus diesen Gründe vor Gericht gegangen.
DOMRADIO.DE: Der Fall ist vom Bundesarbeitsgericht an den Europäischen Gerichtshof überwiesen worden. Dieser hat jetzt eine Entscheidung gefällt. Aus Ihrer Sicht eine gute Entscheidung?
Thüsing: Aus meiner Sicht war es eine unerwartete Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat vor wenigen Jahren noch einmal die Pflöcke eingeschlagen und gesagt, grundsätzlich sei den Kirchen Autonomie garantiert. Wir haben ein Selbstbestimmungsrecht, das die Weimarer Verfassung schon kannte und jetzt auch Bestandteil des Grundgesetzes ist. Dieses Selbstbestimmungsrecht führt laut Bundesverfassungsgericht dazu, dass die Kirchen grundsätzlich selbstbestimmen können, was Nähe zu ihr erfordert. Hier hat das europäische Recht wohl eine leicht andere Nuance hineingebracht.
Der Europäische Gerichtshof geht nun davon aus, dass die staatlichen Gerichte die Entscheidung der Kirchen, ob für eine bestimmte Position die Zugehörigkeit zur Konfession oder zur christlichen Religion eine Voraussetzung ist, voll überprüfen müssen. Das ist neu. Die Kirchen werden sehen, wie sie darauf reagieren müssen.
DOMRADIO.DE: Wie sähe dies denn konkret aus. Gibt es denn Stellen innerhalb der Kirche, bei denen Sie sagen, dass die Konfession vielleicht keine Rolle spielen sollte?
Thüsing: Das ist bislang schon so, dass für Tätigkeiten außerhalb des liturgischen Bereiches und des leitenden Bereiches regelmäßig davon abgesehen werden kann, einen Angehörigen der eigenen Konfession oder der christlichen Kirche einzustellen. Das können da auch andere sein. Aber es besteht immer der Vorbehalt, dass man grundsätzlich ein Pro für die eigene Religion hat. Ob das bei jeder Stelle zukünftig weiter durchgehalten werden kann, ist nach der vorliegenden Entscheidung mehr als fraglich.
DOMRADIO.DE: Was heißt das für alle, die sich künftig im kirchlichen Umfeld bewerben möchten?
Thüsing: Es wird wohl eine genaue Prüfung stattfinden, ob für die Tätigkeit in einer Einrichtung eine kirchliche Bindung erforderlich ist. Wer in einem kirchlichen Kindergarten Kinder erzieht, von dem wird man weiter erwarten können, dass er oder sie der Kirche zugehört. Wer in dem Kindergarten aber nur die Lohnabrechnung macht, der kann das aber wohl auch als Nicht-Kirchenmitglied tun.
Man wird also die Tätigkeit, das Umfeld der Tätigkeit und den Kontext genau anschauen müssen. Wahrscheinlich werden die Kirchen auch noch einmal ihre Regelwerke daraufhin überprüfen müssen, ob sie in Übereinstimmung mit den nun formulierten Regeln des europäischen Rechts stehen.
Das Interview führte Verena Tröster.