Was ist wichtiger: die Selbstbestimmung des kirchlichen Arbeitgebers bei der Einstellung geeigneter Mitarbeiter, oder das Diskriminierungsverbot der EU? Die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entschieden am Dienstag in Luxemburg, dass dies im Einzelfall zu prüfen sei. Ein Urteil, das Auswirkungen auf viele der 1,3 Millionen Beschäftigten der beiden Kirchen in Deutschland und ihrer Wohlfahrtsverbände haben könnte.
Sonderrechte der Kirchen
Auslöser des Urteils ist die konfessionslose Deutsche Vera Egenberger, die sich beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine zeitlich befristete Stelle beworben hatte. Die Aufgabe bestand darin, einen Antirassismusbericht zu erstellen. In der Stellenausschreibung war festgelegt, dass die Bewerber Mitglied einer evangelischen Kirche oder einer Kirche sein müssten, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehört. Egenberger wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie sah sich aus Gründen der Religion benachteiligt und verklagte die Diakonie mit Verweis auf das Antidiskriminierungsgesetz auf Schadenersatz.
Das Bundesarbeitsgericht sah Klärungsbedarf und fragte beim Europäischen Gerichtshof nach, weil sowohl deutsches Verfassungsrecht, als auch europäisches Recht berührt ist: Schon mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht die starke Stellung der Kirchen und ihre Autonomie bei der Auswahl von Mitarbeitern betont.
Und auch das EU-Recht hat die im Grundgesetz verankerten Sonderrechte der Kirchen in Deutschland bestätigt. Andererseits verbietet die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie jegliche Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund von Religion und Weltanschauung.
Bischofskonferenz sieht Urteil gelassen
Die Luxemburger Richter fällten ein Urteil, in dem sowohl die Kirchen als die Antidiskriminierungsstelle des Bundes positive Aussagen fanden. Die katholische Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche hoben am Dienstag hervor, dass die Kirchen auch weiterhin grundsätzlich berechtigt seien, Mitarbeiter nach der Religionszugehörigkeit auszuwählen. "Die Kirche legt ihr Selbstverständnis fest, diese Festlegung kann nicht dem Staat oder einem staatlichen Gericht überlassen werden", so interpretierte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, den Richterspruch.
Grüne und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hoben demgegenüber hervor, dass die Kirchen künftig von ihren Beschäftigten nicht mehr pauschal eine bestimmte Religionszugehörigkeit verlangen könnten. ADS-Leiterin Christine Lüders betonte, die Kirchen müssten ab jetzt "für jedes einzelne Arbeitsverhältnis nachvollziehbar und gerichtsfest begründen können, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit dazu zwingend notwendig sein soll". Für Mitarbeiter, die in der Verkündigung des Evangeliums tätig sind, könnte die Antwort anders aussehen als für Pflegerinnen im kirchlichen Altenheim oder Ärzte im Krankenhaus.
Auswirkungen für die Kirchen
Nach dem Grundsatzurteil vom Dienstag ist jetzt wieder das Bundesarbeitsgericht gefragt. Es muss im konkreten Fall entscheiden, ob die Klägerin vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung diskriminiert wurde und Anspruch auf Schadensersatz hat, weil sie nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde.
Die Kirchen müssen sich nach diesem Urteil genau überlegen, für welche Tätigkeiten die Festschreibung der Religionszugehörigkeit "objektiv notwendig" und verhältnismäßig ist. Die Begründungen können nun eingehender von nationalen Gerichten überprüft werden.
Auf das laufende Verfahren eines Chefarztes, der von einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft aufgrund von Wiederheirat gekündigt wurde, hat das Urteil zunächst nur wenig Auswirkung - denn die Richter betonen die Einzelfallprüfung. Die Schlussfolgerungen zu diesem Fall will der EuGH erst in einigen Wochen bekannt geben.