Vor 75 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto

Mit dem Mut der Verzweiflung

Es war der größte bewaffnete Widerstandsakt von Juden in Europa gegen die Nazis. Vor 75 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto. Ein ungleicher Kampf. Doch ein Widerstandsakt von hoher symbolischer Bedeutung.

Autor/in:
Christoph Arens
Aufstand im Warschauer Ghetto / © dpa CAF (dpa)
Aufstand im Warschauer Ghetto / © dpa CAF ( dpa )

Das Bild ist zur Ikone geworden: Vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos bat Bundeskanzler Willy Brandt im Dezember 1970 mit einem Kniefall um Vergebung für die von Deutschen begangenen Verbrechen. Das Warschauer Ghetto - Symbol für Elend und Vernichtung, aber auch Beweis für den jüdischen Widerstand gegen Hitler.

Mut der Verzweiflung

Vor 75 Jahren, am 19. April 1943, erhoben sich jüdische Ghetto-Bewohner mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihre Peiniger. Keinen Tag länger wollten sie sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. Fast vier Wochen dauerte es, bis die SS den Aufstand endgültig niederschlagen konnte.

Es war die Zeit des jüdischen Pessachfestes, als ab vier Uhr morgens die deutschen Truppen das Ghetto umstellten. Ziel Himmlers war es, Warschau zu Hitlers Geburtstag am 20. April "judenfrei" zu präsentieren. Zu dieser Zeit lebten noch rund 60.000 Menschen eingeschlossen hinter den 18 Kilometer langen Mauern.

Übervölkerung und Hunger

Im November 1940 hatten die Deutschen das Ghetto wegen angeblicher Seuchengefahr errichtet und Juden aus ganz Polen dort zusammengepfercht. Zu Spitzenzeiten waren 445.000 Menschen in dem Gebiet im Stadtzentrum eingeschlossen - unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen und ständiger Angst vor dem Abtransport in die Todeslager. Übervölkerung und Hunger lösten Typhus und Gelbfieber aus. 6.000 Menschen starben pro Monat. Die Straßen waren mit Leichen übersät.

Viele Juden mussten Zwangsarbeit leisten. Die SS zwang den von ihr eingesetzten Judenrat, bei der Auswahl der zu Deportierenden mitzuentscheiden - und machte ihn somit zum Herren über Leben und Tod. Der Historiker Israel Gutman, ein Überlebender aus Warschau, erinnert sich: "Die Judenräte haben gesagt: Für die Deutschen sind wir keine Menschen, aber wenn wir produktiv sind und den Deutschen helfen, können wir vielleicht damit unser Leben retten." - Eine Hoffnung, die schnell zerstob.

Bewaffneter Widerstand

Bereits im Juli 1942 begannen die Nationalsozialisten, das Ghetto zu räumen, bis zum April 1943 wurden 300.000 Menschen in Vernichtungslager deportiert. Am 19. April 1943 sollten die letzten aus dem Ghetto geholt und in Vernichtungslager gebracht werden. Mit Widerstand rechnete die SS nicht. Doch 750 spärlich bewaffnete Kämpfer setzten sich gegen die Übermacht zur Wehr. Mit wenigen Pistolen, Messern, einigen Handgranaten und Molotow-Cocktails sowie etwa 100 Gewehren und einem einzigen Maschinengewehr zogen sie in den Kampf gegen mehr als 2.000 Soldaten, SS und Polizeikräfte, die durch Panzer, Artillerie und Luftwaffe unterstützt wurden.

Marek Edelman, einer der wenigen überlebenden Anführer des Ghettoaufstands, sagte kurz vor seinem Tod 2009: "Während der ganzen Okkupation war das Hauptproblem, wie man an Waffen kommt. Ständig redeten wir nur über Waffen."

Das Überraschungsmoment war auf der Seite der Widerstandskämpfer, 200 SS-Männer wurden getötet, der Rest zog sich zunächst zurück. In den ersten Tagen des Aufstandes konnten die Kämpfer die Angriffe zurückschlagen, doch am Ende hatten sie keine Chance. Die Deutschen begannen unter dem SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, das Ghetto systematisch in Brand zu stecken, um die Aufständischen aus ihren Verstecken zu zwingen. Am 8. Mai 1943 umzingelten deutsche und ukrainische Einheiten das Hauptquartier der Aufständischen.

Aufstand mit symbolischer Bedeutung

Insgesamt forderten die Kämpfe 12.000 Opfer. Weitere 30.000 Menschen wurden anschließend erschossen, 7.000 in Vernichtungslager transportiert. Wenigen Widerstandskämpfern gelang die Flucht durch die Kanalisation. Am 16. Mai 1943 ließ Stroop als Symbol des deutschen Sieges die Große Synagoge zerstören. "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr", brüstete er sich.

Der Aufstand im Warschauer Ghetto hat eine enorme symbolische Bedeutung. Er zeigte, dass die Deutschen nicht unbesiegbar waren, dass ein Aufstand überhaupt denkbar war. Im August 1944, ein gutes Jahr nach dem Ghetto-Aufstand, wurde Warschau erneut Schauplatz des Widerstands gegen die deutschen Besatzer. Allerdings: Auch der Warschauer Aufstand scheiterte.


Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 (dpa)
Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 / ( dpa )

Hausruinen in der polnischen Hauptstadt Warschau im Jahre 1945 / © PRASA (dpa)
Hausruinen in der polnischen Hauptstadt Warschau im Jahre 1945 / © PRASA ( dpa )

Geste, die Geschichte schrieb: Der Kniefall Willy Brandts in Warschau (KNA)
Geste, die Geschichte schrieb: Der Kniefall Willy Brandts in Warschau / ( KNA )
Quelle:
KNA