Die Debatte über Antisemitismus in Deutschland dauert an. Der frühere Landesrabbiner von Westfalen-Lippe, Henry Brandt, mahnte zu Gelassenheit. In dem "Getöse" der öffentlichen Diskussion gehe manchmal unter, dass Juden in Deutschland heute gut leben könnten, sagte Brandt der "Neuen Westfälischen" (Montag). "Als Jude weiß und fühle ich, dass wir viele Freunde haben und dass heute die Gesamtreaktion der Gesellschaft eine andere ist und wäre als in den unsäglichen Jahren der 30er."
Allerdings müsse auf antisemitische Vorfälle insbesondere an Schulen deutlich reagiert werden. Die Verleihung des Musikpreises "Echo" an die Rapper Kollegah und Farid Bang nannte Brandt "unsäglich". Die Auszeichnung signalisiere, "dass man die Würde anderer Menschen mit Füßen treten darf und das dann als Kunst bemäntelt."
Merkel beklagt neuen Antisemitismus
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beklagte im israelischen Fernsehen neue Phänomene des Antisemitismus in Deutschland. Medienberichten zufolge sagte sie dem Sender Channel 10 News, dass daran auch manche Flüchtlinge oder Menschen arabischen Ursprungs einen Anteil hätten.
Allerdings habe es Antisemitismus auch schon vor der Ankunft von Flüchtlingen gegeben. Dass Kindergärten, Schulen und Synagogen nicht ohne Polizeischutz sein könnte, bedrücke sie. Das Interview wurde zum 70. Jahrestag der Unabhängigkeit des Staates Israel geführt. Dazu sagte Merkel, Israel sei ein demokratischer Staat, in dem unglaublich viel geschafft worden sei. Sie bekräftige ihre frühere Aussage, wonach die Sicherheit Israels Teil der Staatsräson Deutschlands sei.
"Vorbildliche Erinnerungskultur"
Am Sonntagabend hatte der stellvertretender Ministerpräsident von Hessen, Tarek Al-Wazir (Grüne), im "Bericht aus Berlin" des ARD-Hauptstadtstudios gesagt, wer auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, für den sei Antisemitismus tabu. "Hier hat jeder das Recht zu leben, und zwar ungestört zu leben. Und natürlich gehört zur Wahrheit dazu, um sechs Millionen Juden umzubringen, haben Deutsche keine Muslime gebraucht, aber es ist auch klar, dieses Land hat daraus gelernt und hat eine vorbildliche Erinnerungskultur und das müssen alle akzeptieren, die hier sind."