Frauen sind nach Verlust ihrer Wohnung besonders benachteiligt

Opfer körperlicher und seelischer Gewalt

Stress mit den Eltern oder die Flucht vor dem gewalttätigen Ehemann – ein Drittel aller Wohnungslosen sind Frauen. Zu sehen sind sie in der Öffentlichkeit jedoch kaum.

Autor/in:
Maren Breitling
Obdachlose Frau (dpa)
Obdachlose Frau / ( dpa )

Eben noch einen gut bezahlten Praktikumsplatz und plötzlich wohnungslos - die Studentin Heike (Name geändert) erfuhr am eigenen Leib, wie schnell es gehen kann, ohne Bleibe auf der Straße zu stehen. Sie hatte ein Jahr im Ausland gelebt, war für ein Praktikum in Hamburg, kam zurück nach Berlin - und fand kein Zimmer.

Heike wohnte neun Tage in einer kommunalen Notunterkunft, zweieinhalb Wochen in "Evas Obdach", einer katholischen Hilfseinrichtung für wohnungslose Frauen, und immer wieder in Hotels oder anderen Notbehelfen. "Das war eine stressige und teure Zeit. Man zieht von Unterkunft zu Unterkunft und kommt nicht zur Ruhe."

40.000 Menschen ohne eigene Wohnung

Wie Heike geht es vielen Frauen in Berlin. In der Öffentlichkeit fallen sie aber kaum auf. Im Gegenteil. Wie die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Werena Rosenke, erklärt, versuchen sie mit allen Mitteln zu verheimlichen, dass sie keine eigene Wohnung habe. Um nicht erkannt und abgestempelt zu werden, gehen sie häufig Zweckgemeinschaften ein und suchen etwa bei Männern Unterschlupf.

Nach Schätzungen der Landesarmutskonferenz sind in Berlin 40.000 Menschen ohne eigene Wohnung, ein Drittel davon Frauen. Häusliche Gewalt oder der Auszug bei den Eltern sind nach Erfahrung Rosenkes häufige Gründe für die Wohnungslosigkeit von Frauen. Auf der Straße werden sie leicht Opfer körperlicher und seelischer Gewalt und sind damit besonders verletzlich.

Wohn- und Beratungshaus

Diese Erfahrungen machte auch Heike. Sie kam über eine unprofessionelle Hilfsorganisation zu einem Wirt in Brandenburg, bei dem sie im Veranstaltungsraum schlafen konnte. Doch er belästigte sie sexuell, erzählt Heike. Sie wehrte die Angriffe ab. "Frauen, die sich nicht helfen können, gibt es aber auch", weiß Heike. Es wundert sie nicht, dass ihre erste sexuelle Belästigung in genau dieser Situation passierte.

Die Koepjohann'sche Stiftung will genau da ansetzen und Frauen in solcher Lage helfen. Sie baut ein Gebäude in Berlin-Mitte zu einem Wohn- und Beratungshaus um. Dort werden 26 Frauen – auch mit Kindern – unterkommen. Nah am Menschen, mitten in der Stadt. Auch Heike fand beim Frauentreffpunkt "Sophie" der Stiftung Hilfe und bekam ein Zimmer in Brandenburg.

"Es braucht eine Quote"

Prävention sei die beste Hilfe, so Rosenke. Frauen nähmen Hilfe an, wenn es sie denn gebe. Nah gelegene Beratungen seien wichtig, damit Vermieter und betroffene Frauen wüssten, was machbar ist. Rosenke fordert dringend bezahlbare Wohnungen. Selbst wo es Sozialwohnungen gebe, kämen Wohnungslose nicht zum Zug. Es brauche eine Quote, fordert Rosenke.

Nach Erkenntnissen von Hans-Joachim Schubert von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin haben wohnungslose Frauen auch mit zahlreichen Hilfseinrichtungen und Behörden zu tun. Das macht die Hilfe häufig unwirksam. Es sei deshalb sinnvoller, die Zuständigkeit an einer Stelle zu bündeln, rät der Soziologe. Das bestätigt auch Heike.

"Könnte jeder Studentin passieren"

Frauen sind Schubert zufolge noch immer benachteiligt. Sie arbeiten weniger in Vollzeit, befinden sich in finanzieller Abhängigkeit und arbeiten häufig in schlecht bezahlten Jobs. Viele führen den Haushalt allein und versorgen die Kinder. Entsprechend groß ist die Gefahr, auf der Straße zu stehen, wenn die Wohnung verloren geht.

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) betont, das Land Berlin habe aktuell zwar Geld für Notunterkünfte und soziale Hilfen, es gebe auf dem Immobilienmarkt keine Wohnungen für diese Gruppe. Auch ist das System der Nothilfe nach Worten Breitenbachs ausgelegt auf wohnungslose Männer zwischen 35 und 45 Jahren, für andere Menschen in dieser Situation passten sie nicht. Das müsse grundlegend geändert werden.

Heike kam zugute, dass sie noch einen Notgroschen und ein Netzwerk von Menschen hatte, die ihr weiterhalfen. "Wie es mir ging, könnte jeder Studentin passieren. Jüngere Frauen ohne Netzwerk kennen vielleicht auch die Hilfen nicht."


Quelle:
KNA