"Kreuze gehören zu Bayern wie die Berge." Dieser Ausspruch stammt nicht vom neuen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), sondern von einem seiner Vorgänger: Edmund Stoiber hatte diesen Satz 1995 bei einer Großkundgebung auf dem Münchner Odeonsplatz ausgerufen.
Kurz zuvor war das "Kruzifix-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts ergangen, das die Kreuz-Anbringungspflicht in Klassenzimmern für verfassungswidrig erklärte. Stoiber demonstrierte zusammen mit 30.000 Menschen für die Beibehaltung der Kreuze in den Schulklassen. Unter den Demonstranten waren auch der Münchner Kardinal Friedrich Wetter und der evangelische Landesbischof Hermann von Loewenich.
23 Jahre später: Söder sagt, das Kreuz stehe für die "geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns". Damit begründete er den Erlass der bayerischen Staatsregierung, wonach ab Juni 2018 in den Eingangsbereichen aller Landesbehörden ein Kreuz aufgehängt werden soll. Diesmal aber stehen die die obersten Kirchenvertreter nicht Seit' an Seit' mit dem bayerischen Ministerpräsidenten auf der Straße. Stattdessen hagelt es Kritik. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx wirft Söder "Spaltung" vor.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Doch auch wenn sich die Bischöfe über Söders unabgesprochenes Vorpreschen noch so sehr ärgern - in hohen Kirchenkreisen gilt Söders Erlass als "gerichtsfest". Die Juristen der bayerischen Staatskanzlei hätten den Kruzifix-Beschluss des Ersten Senats vom 16. Mai 1995 (Az. 1 BvR 1087/91) offenbar genau studiert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte damals zwar einen Paragrafen der bayerischen Volksschulordnung bemängelt, wonach "in den öffentlichen Volksschulen in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen" war. Die Richter hatten aber in ihren weiteren Ausführungen auch betont, dass ein nur "flüchtiges Zusammentreffen" mit dem Kreuz keine Grundrechte verletze. Und laut dem jetzigen Kabinettsbeschluss soll das Kreuz ja lediglich im Eingangsbereich von Behörden hängen, nicht in Amtszimmern, wo ein Besucher dem Kruzifix nicht mehr ausweichen könnte und ihm ausgesetzt wäre.
Allein eine derartige "unausweichliche" Begegnung mit Kreuz wird im "Kruzifix-Beschluss" von 1995 untersagt. Der Einzelne habe zwar "kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben", heißt es dort. Davon zu unterscheiden sei aber "eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens (...) und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist".
Die damalige Bayerische Volksschulordnung schrieb jedoch für jedes Klassenzimmer ein Kreuz oder Kruzifix vor. Das ließen die Karlsruher Richter nicht durchgehen: Schüler würden "von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert" und würden damit "gezwungen, 'unter dem Kreuz' zu lernen".
"Flüchtiges Zusammentreffen"
Ihre Niederlage konterte die Bayerische Regierung damals mit einem juristischen Trick, der "Widerspruchslösung": Die Kruzifixe durften demnach in den Klassen hängenbleiben, solange sich kein gerechtfertigter Protest dagegen erhebe. Und den gab es seither nur sehr vereinzelt.
Das Verfassungsgericht hatte 1995 auch betont, dass sich die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern "von der im Alltagsleben häufig auftretenden Konfrontation mit religiösen Symbolen der verschiedensten Glaubensrichtungen" unterscheide. Diese besitze "nicht denselben Grad von Unausweichlichkeit". Wörtlich heißt es weiter: "Zwar hat es der Einzelne nicht in der Hand, ob er im Straßenbild, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Betreten von Gebäuden religiösen Symbolen oder Manifestationen begegnet." Es handele sich in der Regel jedoch "um ein flüchtiges Zusammentreffen".
Söder hat sich inzwischen auch beeilt hinzuzufügen, dass das Kreuz natürlich ein "religiöses Symbol" sei. Auch da scheint er den Beschluss von 1995 - nochmals - gelesen zu haben, der das Kreuz als "spezifisches Glaubenssymbol des Christentums" bezeichnet. Es wäre eine "Profanisierung des Kreuzes", wenn man es "als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition" ansehen wollte, betonen die Karlsruher Richter.