Seit fast 350 Jahren pilgern Gläubige in den nordrhein-westfälischen Wallfahrtsort Neviges im Bergischen Land. Die Wanderer erwartet am Ziel ihrer Reise ein ganz besonderes Bauwerk: Die Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“ präsentiert sich als gezackter Betonfelsen. Am 24. Mai jährt sich die Weihe der von Gottfried Böhm entworfenen Kirche zum 50. Mal.
Die Generation der „68er“ steht für neue Ideen und gesellschaftlichen Wandel. Da passt es gut, dass in diesem Jahr auch der visionäre Kirchenbau im Velberter Stadtbezirk Neviges geweiht wurde. Der entscheidende Impuls kam vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Es sandte Signale von Aufbruch und Fortschritt in die Welt. Einer der Teilnehmer damals: Der Kölner Kardinal Josef Frings (1887-1978). Ihm ist zu verdanken, dass der kühne Entwurf des inzwischen 98 Jahre alten Architekten Gottfried Böhm, ebenfalls ein Kölner, umgesetzt wurde.
Frings begeistert
Bereits 1960 war beschlossen worden, in Neviges eine neue Wallfahrtskirche zu bauen. Beim anschließenden Architektenwettbewerb konnte zunächst ein anderer Plan überzeugen - bis der Erzbischof das Modell Böhms wortwörtlich in die Finger bekam. Der schlecht sehende Frings ertastete sich ein Bild und war so begeistert vom revolutionären Entwurf, dass der Wettbewerb unter geänderten Voraussetzungen neu ausgeschrieben wurde.
Den zweiten Durchlauf entschied Böhm mit seiner Vision aus Beton für sich. Ein radikaler, neuer Ansatz, ganz im Geist des Konzils: Von außen ein Zelt als Symbol des wandernden Gottesvolkes, von innen ein Marktplatz, auf dem der Glaube angeboten wird. Andere Deutungen sehen den Bau als „Stadt Gottes“ oder Fels der Kirche.
Die Marienkirche wurde seit ihrem Bau hitzig diskutiert. Für die einen ist das Gebäude nicht nur ein schützenswertes Denkmal, sondern ein architektonisches Meisterwerk. Sogar von „einem der schönsten Gebäude Deutschlands“ ist die Rede. Andere wiederum finden den im sogenannten Brutalismus-Stil errichteten Mariendom einfach nur brutal hässlich. Die Bauweise hat nichts mit Grobianen zu tun, sondern eher mit schonungsloser Ehrlichkeit: In dieser Architektur wird der rohe Beton, französisch "beton brut", nicht hinter schmückenden Fassaden versteckt.
Keine graue Wüste
Man darf sich den Bau aber deswegen nicht als graue Wüste vorstellen. Neben den brutalistischen Flächen aus Sichtbeton kommen die bunten Kirchenfenster umso besser zur Geltung. In leuchtendem Rot zeigen sie Rosen als Symbol für die Jungfrau Maria. Ein Heiligenbildchen, das die Gottesmutter zeigt, ist das zentrale Ziel der Pilger in Neviges.
Der Legende nach hörte ein Dorstener Franziskanerpater beim Gebet vor dem Bild eine Stimme: „Bring mich nach dem Hardenberg, da will ich verehret sein!“ Der Geistliche folgte der Aufforderung und sandte das Bild seinen Mitbrüdern in Hardenberg-Neviges. Die Jungfrau sagte nach der Überlieferung außerdem eine Wunderheilung voraus. Der schwerkranke Fürstbischof von Paderborn und Münster, Ferdinand von Fürstenberg, hörte davon und gelobte, im Falle seiner Genesung nach Neviges zu pilgern. Der geistliche Landesherr wurde tatsächlich wieder gesund - und am 25. Oktober 1681 der erste Neviges-Wallfahrer. Aus seiner Dankesreise entwickelte sich eine wachsende Pilger-Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten Hunderttausende nach Neviges, manchmal bis zu 10.000 Menschen an einem Sonntag.
Hohe Kosten für die Instandhaltung
Einen derartigen Ansturm hat die Betonkirche allerdings noch nicht erlebt: Schon während der Bauzeit sank die Pilgerzahl stark ab. Der Rückgang macht sich auch in der Kasse des Wallfahrtsortes bemerkbar.
Dazu kommen hohe Kosten für die Instandhaltung. Im Erzbistum Köln ist man aber immer noch stolz auf das Gotteshaus - abseits aller Stilkritik. Das Jubiläum wird im Erzbistum nicht an einem Tag, sondern gleich mit einem ganzen Jahr gefeiert. Seit Anfang Mai ist die Wallfahrtssaison eröffnet. Mit den Feierlichkeiten zum Jubiläum geht die Hoffnung einher, dass der Mariendom wieder mehr Pilger anzieht.