Land des offiziellen Unglaubens ist weltweit größter Hersteller

Pro Sekunde eine Bibel

Selbst die deutsche Bibelgesellschaft bezieht ihre Bücher auch von hier: Auf der grünen Wiese in der chinesischen Millionenstadt Nanjing werden mehr Bibeln gedruckt als irgendwo sonst auf der Welt.

Bibel / © domradio.de (DR)
Bibel / © domradio.de ( DR )

174.261.580 zeigt die Leuchttafel in der Eingangshalle an. Dann 174.261.581. Und schon 174.261.583. "Pro Sekunde drucken wir eine Bibel", erklärt Gillian Chen. 174 Millionen Exemplare - das ist das Ergebnis von 30 Jahren. Damit ist die Amity Printing Company in Nanjing weltweit führend in der Herstellung von Bibeln. Nirgends sonst wird das Buch der Bücher so viel gedruckt wie hier.

Von der kommunistischen Metropole aus in alle Welt

Hier - das ist ein modernes Gebäude auf einer grünen Wiese im Osten Chinas. Es sieht aus wie in jedem deutschen Industriegebiet vor den Toren der Stadt. Nanjing ist eine von vielen chinesischen Städten, von denen im Westen kaum jemand Notiz genommen haben dürfte.

Dabei leben hier 8,5 Millionen Menschen. Der größte Hafen der Welt, Shanghai, ist 300 Kilometer entfernt. Von hier werden die in Nanjing hergestellten Produkte in aller Herren Länder verschifft: Auto- und Computerteile, Chemieprodukte - und eben Bibeln.

Doch anders als Auto- und PC-Komponenten sind Bibeln im kommunistisch regierten und damit atheistischen China ein kritisches Produkt.

Gläubige finden sich in Untergrundkirchen zusammen

Religionen sind zwar offiziell zugelassen, aber nur in engen Grenzen und überwacht von staatlichen Organisationen. Gläubige, die sich nicht den Staatskirchen unterordnen wollen, finden sich in Untergrundkirchen zusammen.

Diese existieren an vielen Orten parallel zu den offiziellen Gemeinden und wurden bislang weitgehend toleriert. Zuletzt aber hat der Druck auf Religionsgemeinschaften zugenommen. Bei der Amity Printing Company ist davon zunächst nichts zu spüren.

In der großen Werkshalle wird gedruckt, was das Papier hergibt. Ein Mitarbeiter prüft jeden Zentimeter des Blattes, ehe er seinem Kollegen das Zeichen zum Weiterdrucken gibt. Auf der anderen Seite der Halle hantieren mehrere Männer mit Bündeln voller Papierstreifen.

Viele in der Druckerei sind Wanderarbeiter

Was falsch bedruckt ist, wird in einen großen Behälter geworfen, die anderen Stapel schwungvoll zurechtgeschüttelt, bis die Kanten fein säuberlich übereinander liegen. Dann werden sie zwischen Holzbretter geklemmt, um anschließend zurechtgeschnitten und gebunden zu werden.

500 Mitarbeiter hat die Amity Printing Company, viele von ihnen Wanderarbeiter. Sie kommen aus Dörfern, die oft 500 oder 1.000 Kilometer entfernt sind. Nanjing ist für sie eine andere Welt, aber der einzige Ort, wo sie Geld verdienen können, um ihre Familien zu ernähren.

Einmal im Jahr, zum chinesischen Neujahrsfest im Februar, reisen sie in ihre Provinzen zurück. Den Rest des Jahres verbringen sie auf dem Gelände der Druckerei in einem Wohnblock. Ohne solche Wanderarbeiter, die durchschnittlich 400 bis 500 Euro im Monat verdienen, wäre Chinas rasanter Aufstieg in den vergangenen 30 Jahren nicht denkbar gewesen.

"Alle Arten von Cover"

Auch die Amity Druckerei verdankt ihren Aufstieg zum weltgrößten Bibelproduzenten nicht zuletzt den Wanderarbeitern. Im Akkord streicht eine Frau flüssigen Klebstoff auf den Rücken der Bibel, drückt ihn in den schwarzen Ledereinband.

Sie schließt probeweise den Reißverschluss, öffnet ihn wieder, schließt ihn, legt das fertige Buch auf einen Stapel. Die nächste Bibel. Klebstoff drauf, festdrücken, Reißverschluss prüfen. "Wir bieten alle Arten von Einbänden: Hardcover oder Softcover, in verschiedenen Farben und Designs, je nach Wunsch des Kunden", erklärt Gillian Chen. Auch Gold- und Farbschnitte seien möglich.

Die Amity Printing druckt die Bibel in 100 Sprachen, darunter 11 chinesische Dialekte. Die wichtigsten Partner für den Vertrieb im Ausland sind die Bibelgesellschaften. Auch die deutsche Bibelgesellschaft bezieht ihre Bücher unter anderem aus Nanjing.

Hilfe für Bauern und Waisenkinder

Die Amity Printing Company ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Amity Foundation und United Bible Societies, in der Bibelgesellschaften aus der ganzen Welt vereinigt sind.

Die Amity Foundation ist eine christliche Hilfsorganisation, 1985 in Nanjing gegründet. Sie unterstützt in den Kommunen Bauern, kümmert sich um Waisenkinder, baut Gesundheitsvorsorge aus.

Grundsätzlich steht die kommunistische Regierung in Peking außerstaatlichen Organisationen wie Amity skeptisch gegenüber. Auf der anderen Seite sind die lokalen Behörden auf sie angewiesen, denn das staatliche Hilfsnetz ist löchrig.

Zukunft des Bibeldrucks ist ungewiss

Die Führung durch die Druckerei ist zu Ende. Auf der Tafel steht inzwischen die Zahl 174.265.975. Etwas weniger als die Hälfte dieser Bibeln, rund 80 Millionen, wurden in China verkauft.

Das entspricht in etwa der Zahl der Christen im Land, die in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist - allen Repressalien zum Trotz. Der Zugang zur Bibel könnte künftig allerdings schwieriger werden.

Im April hat Peking den Vertrieb der Bibel auf allen Online-Plattformen verboten. Nur christliche Buchläden sollen sie weiter verkaufen dürfen. Was das für die Amity Printing Company bedeutet? Dazu will Gillian Chen lieber nichts sagen. 

Stefanie Ball


In der weltgrößten Bibeldruckerei in Nanjing (China) / © Dag Smemo/United Bible Society (epd)
In der weltgrößten Bibeldruckerei in Nanjing (China) / © Dag Smemo/United Bible Society ( epd )
Quelle:
KNA