Manche Menschen können von Geburt an nichts sehen und hören. Andere verlieren beide Sinne im Laufe ihres Lebens - zum Beispiel wegen einer Krankheit. Taubblinde Kinder, Jugendliche und Erwachsene benötigen eine spezielle Förderung und Menschen, die sich gründlich um sie kümmern.
Individuelle Förderung und Begleitung
Das geschieht etwa im Deutschen Taubblindenwerk in Hannover. Es versteht seine Aufgabe so, "hörsehbehinderte und taubblinde Menschen lebenslang zu fördern und zu begleiten". Dafür bietet die 1967 gegründete Einrichtung Frühförderung im Kindergarten, Schulbildung, Rehabilitation, Arbeit in Werkstätten und Wohnmöglichkeiten an.
Laut Schuldirektorin Bettina Trissia war das Taubblindenwerk die erste zentrale und eigenständige Einrichtung in Westdeutschland. Bis heute sei die Frage immer: "Welches Kind haben wir vor uns? Jeder bekommt einen individuellen Förderplan." Zugleich orientierten sich die Fachkräfte an den Lehrplänen allgemeinbildender Schulen.
Der Unterricht verläuft gleichwohl anders als an regulären Schulen: Es gibt Einzel- oder Partnerunterricht, Arbeitsgemeinschaften. Ohnehin gehen die Uhren beim Taubblindenwerk anders. Wer sich dort mit einem Kind oder Jugendlichen beschäftigt, muss erst einmal eine Kommunikation zu ihm aufbauen.
Über die Berührung gehen
Sich kennenlernen, eine gemeinsame Ebene finden und mit Dingen in der Umgebung in Berührung gebracht werden, wie Trissia erläutert. "Die Kinder haben oft einen Entwicklungsverzögerung. Vieles dauert vielfach so lange wie bei anderen." Zum Beispiel auch, Vertrauen aufzubauen.
Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass ein taubblinder Säugling gar nicht in der Lage ist, seine Mutter zu erkennen. Trissia nennt es "fantastisch", wenn bei Kindern, die von Geburt an nicht hören und sehen können, irgendwann ein Verständnis entsteht; dass sie Menschen oder Dinge erkennen und benennen können.
Dafür braucht es viel Zeit. "Zwei Sinne sind betroffen", erklärt Trissia. "Taubblinde müssen über das Taktile, die Berührung gehen." Wenn jedoch ein Kind schon einmal hören und sehen konnte, habe es "Vorstellungen, innere Landkarten". Damit habe man vielfältigere Entwicklungsmöglichkeiten. Derzeit gebe es 80 Schüler und 5 Kindergartenkinder in Hannover.
Zur Selbstständigkeit erziehen
Wenn ein Taubblinder ein gutes Grund- oder Hauptschulniveau erreicht habe, stünden dahinter stets engagierte Menschen, sagt Trissia. "Unser Ziel ist, den Schülern eine größtmögliche Selbstständigkeit zu geben." Fast alle arbeiteten später in Werkstätten für behinderte Menschen.
Schätzungen zufolge leben in Deutschland bis zu 9.000 Taubblinde - und es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Alte Menschen zum Beispiel, deren Hör- und Sehkraft kaum noch vorhanden ist, werden Experten zufolge häufig nicht als taubblind eingestuft. Hier gebe es Nachholbedarf, kritisiert Trissia.
Frage der Assistenz
Große Probleme gibt es bei der Assistenz. Reiner Delgado, Referent für Soziales beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, sagt, dass sich momentan ein Berufsfeld Taubblindenassistent entwickele. "Die meisten taubblinden Menschen brauchen für Aktivitäten außer Haus Hilfe."
Eine Assistenz kostet Delgado zufolge 49 Euro pro Stunde. "Privat können sich das die wenigsten leisten." Bei der Bewilligung werde um Stunden "gefeilscht". Er nennt den Fall einer taubblinden Frau, die in Berlin studiere: Bei der Studienassistenz gebe es - anders als beim Alltag - nicht so große Probleme mit der Finanzierung.
Unterschiedliche Verständigungswege
Taubblinde verständigen sich über vielfältige Wege. Da ist etwa das Lormen, ein Tastalphabet: Der "Sprechende" tastet auf die Innenseite der Hand des "Lesenden". Fingern und Handpartien sind Buchstaben zugeordnet: Das A ist ein Punkt auf der Daumenspitze, das S ein Kreis auf dem Handteller. Das Lorm-Alphabet wurde 1881 von Hieronymus Lorm entwickelt.
Oder das Fingeralphabet aus der Gebärdensprache: Taubblinde nutzen eine tastbare Variante davon, das heißt, ihnen werden Buchstaben in die Handfläche "gelegt". Zudem gibt es etwa die Blindenschrift, die laut Delgado heute auch am Smartphone mit einer "Braillezeile" gelesen werden kann.
Gesellschaftliche Isolation
Viele taubblinde Menschen fühlten sich isoliert, sagt der Referent. Das sei das Hauptproblem - neben mangelnder Selbstbestimmung, weil die Menschen eben so stark von anderen abhängig seien. Oft seien das die Eltern, die auf der anderen Seite aber nicht immer wüssten, wie sie sich verhalten sollten: "Mit der Behinderung des eigenen Kindes umzugehen, ist eine Herausforderung."
Leticia Witte