"Victores et victrices!" (Deutsch: "Sieger und Siegerinnen!") - so lautete die Ansprache Elisabeth Lebeks von der Elisabeth-Lebek-Stiftung im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln. Dort fanden sich Preisträgerinnen und Preisträger des "Bundeswettbewerbs für Fremdsprachen im Fach Latein" aus ganz Nordrhein-Westfahlen zusammen. Eine Gruppe stach dabei ganz besonders heraus: Das Tannenbusch-Gymnasium aus Bonn.
"De hominibus patriam novam quaerentibus" - das bedeutet soviel wie "von den Menschen, die eine neue Heimat suchen": So heißt der Beitrag des Tannenbusch-Gymnasiums, mit dem es einen der ersten Preise gewann. Im Videobeitrag stehen sich der aus Troja geflohene Aeaneas der Antike und der syrische Flüchtling Mohammed gegenüber. Beide berichten von den Parallelen ihrer Flucht, jeweils auf Lateinisch und Arabisch.
Mit der Geschichte des Aeneas brach das Schweigen langsam auf
Was den Beitrag so besonders macht, ist nicht unbedingt das Thema Flucht. Es sind die vier Schülerinnen und Schüler, die dieses Thema am eigenen Leib erfahren haben und im Jahr 2015 von Syrien nach Deutschland geflohen sind. Diese vier haben es auf sich genommen, Latein als zweite Fremdsprache für ihr Abitur zu wählen.
Wie es letztendlich zu der Idee des Beitrags gekommen ist, erklärt uns Christa Kayser, die Lehrerin der Schüler: "Die Schülerinnen und Schüler haben vorher sehr wenig im Unterricht über ihre Flucht gesprochen, doch dann nahmen wir im Unterricht die Geschichte des Aeneas durch, und da brach es langsam auf. Sie sagten, 'das ist ja wie bei uns – wir sind auch mit dem Schiff geflohen wie Aeneas!' Wir dachten, das ist eine Thematik, die es immer schon gab; und da ist auch mal Antike aktuell wie nie zuvor!"
Am Anfang waren nicht alle Schüler begeistert von der Idee, am Wettbewerb teilzunehmen, erzählt Christa Kayser. Denn sie mussten bereit sein, sich außerhalb der Schulzeit zu treffen, um an dem Beitrag arbeiten zu können. Letztendlich hat die Thematik "Flucht damals und heute" die Schülerinnen und Schüler dann doch gepackt.
"Für mich war es gut, davon zu erzählen"
Eva aus Syrien erzählt: "Ich bin erst seit drei Jahren in Deutschland. Für manche war es wichtig zu wissen wie es ist, auf der Flucht von Syrien nach Deutschland zu sein. Und für mich war es gut, davon zu erzählen." Eva und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler erzählen diese Fluchtgeschichte auf Latein.
Ausgerechnet Latein, eine Sprache, mit der sich viele so schwer tun, haben einige Flüchtlinge am Tannenbusch-Gymnasium als zweite Fremdsprache gewählt. So auch Sham, die uns ihre Begegnung mit Latein und der Zusammenarbeit des Kurses schildert: "Latein ist nicht schwierig und es ist einfacher, andere Sprachen wie Spanisch oder Englisch zu lernen, wenn man Latein kann. Das finde ich schön", sagt sie.
"Menschen stellen sich heute wie damals die gleichen Fragen"
Latein biete eine gute Anschlussmöglichkeit für junge Zugewanderte, meint Ruth Brüggemann, die ebenfalls Lateinlehrerin am Tannenbusch-Gymnasium ist. Zudem hätten die Schüler immer wieder das Bedürfnis, Kreatives im Lateinunterricht einzubringen. Dafür sei dieser Wettbewerb eine gute Möglichkeit.
Obwohl das Tannenbusch-Gymnasium schon eine lange und erfolgreiche Geschichte im Bundeswettbewerb hinter sich hat, findet Ruth Brüggemann den diesjährigen Beitrag besonders herausragend. "Der Beitrag bringt Flucht auf eine ganz persönliche Art nah. Im Unterricht lesen die Schüler oft Geschichten über andere Personen wie Aeneas oder Odysseus, aber das sind in ihren Vorstellungen Welten, die mindestens 2000 Jahre alt sind. Dass aber ganz Vieles so zeitübergreifend ist und sich die Menschen damals wie heute die gleichen Fragen stellen wie 'Was bedeutet Heimat? Was bedeutet Verlust von Heimat und Familie?‘ ist heute vielen nahe gegangen und deswegen auch so emotional gewesen", erläutert die Lateinlehrerin.
Die verantwortungsvolle Art der Schüler habe das Ministerium überzeugt
Auch Antonia Dicken-Begrich vom Ministerium für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen findet den Beitrag emotional. Sie ist gekommen, um den Preis zu überreichen. Die hohe Aktualität des Themas und die verantwortungsvolle Art, mit der die Schülerinnen und Schüler damit umgegangen seien, habe das Ministerium überzeugt.
Mit dem Preisgeld geht der Lateinkurs, nach Ende des Ramadan, zusammen essen. Dann werden alle Beteiligten ihren Erfolg feiern. Vielleicht ist die Sprache Latein ja doch nicht so verstaubt wie sie scheint?
Lea Brüggemann