Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Olav Fykse Tveit, schloss am Donnerstag das Oberhaupt der Katholiken in die Arme. Die Mitarbeiter des Rates begrüßten den Pontifex mit Jubel.
Franziskus reiste anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Weltkirchenrates in die Schweizer Stadt. Es ist der erste Besuch eines Papstes beim ÖRK seit mehr als drei Jahrzehnten. Erster Programmpunkt war ein ökumenisches Gebet mit Christen verschiedener Konfessionen. In der Kapelle des Ökumenischen Zentrums stimmte Franziskus in kirchliche Gesänge ein und lauschte der geistlichen Musik.
Papst: Ökumene ein "großes Verlustgeschäft"
Im Rahmen des Gebetsgottesdienstes am Sitz des Weltkirchenrats sagte der Papst die Ökumene sei "ein großes Verlustgeschäft". Um der Einheit willen gelte es eigene Zwecke aufs Spiel zu setzen, "die oftmals eng an ethnische Zugehörigkeiten oder überkommene Vorstellungen gebunden sind, seien sie mehrheitlich 'konservativ' oder 'fortschrittlich'", so der Papst.
In der Feier beteten Vertreter unterschiedlicher christlicher Konfessionen um Vergebung für die Uneinigkeit der Christen und um Einheit. Anliegen waren auch der Friede, Respekt vor der Schöpfung und eine Überwindung der Trennungen von Rasse, Geschlecht, Alter und Herkunft.
Der Papst betonte in seiner Rede, was nicht der Gemeinschaft diene, führe zu Kriegen und Zerstörung. "Die Welt, zerrissen von zu vielen Spaltungen, die vor allem die Schwächsten treffen, ruft nach Einheit", sagte er. Die getrennten Christen mahnte er dazu, "in der Vergebung fortzuschreiten". Dies gehe nicht "mit der dröhnenden Gangart der Machtanmaßung, sondern mit jener, die dem Rhythmus eines einzigen Gebotes folgt: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst'".
Für Kirchenspaltungen und frühere Misserfolge in der Ökumene machte Franziskus "weltliches" Machtdenken unter Christen verantwortlich: "Zuerst versorgte man die Eigeninteressen, dann jene von Jesus Christus", so der Papst. Auch Versuche in der Vergangenheit, diese Trennungen zu überwinden, seien "elend gescheitert, weil sie sich hauptsächlich an einer weltlichen Logik orientierten".
"Nicht nur das Eigene retten"
Der Papst sprach von einer "heimtückischen Versuchung" im Dialog der Kirche, "miteinander zu gehen, aber in der Absicht, irgendein Eigeninteresse durchzusetzen". Franziskus nannte dies eine Logik "des Judas, der zusammen mit Jesus wandelte, aber zum eigenen Vorteil".
Ökumene könne nicht gelingen, wenn man das Eigene retten wolle, argumentierte Franziskus. Wer Christus nachfolgen wolle, müsse "mit heiliger Hartnäckigkeit den Weg des Evangeliums wählen und die Schleichwege der Welt ablehnen".
"Wie Jesus selbst lehrt, bringen nicht diejenigen, die anhäufen, im Weinberg des Herrn Frucht, sondern diejenigen, die dienen und der Logik Gottes folgen, der weiterhin schenkt und sich selbst schenkt", sagte der Papst. Dies sei eine "österliche Logik, die einzige, die Frucht trägt", so der Papst.
Anlass des Besuchs war die Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen (Weltkirchenrat, ÖRK) vor 70 Jahren. Dem Kirchenbund gehören heute weltweit 350 evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit rund 560 Millionen Mitgliedern an. Die katholische Kirche ist kein Vollmitglied, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen.
Papst und Berset sprechen über Flüchtlingspolitik
Zu Beginn des Papstbesuches in der Schweiz haben Papst Franziskus und der Schweizer Bundespräsident Alain Berset über die Migrationskrise in Europa beraten. Bei ihrem Gespräch auf dem Genfer Flughafen hätten beide eine solidarische und gesamteuropäische Flüchtlingspolitik angemahnt, hieß es anschließend in einem Kommunique der Schweizer Bundesregierung.
Bei dem folgenden offiziellen Gespräch erörterten Berset und Franziskus laut der Mitteilung Fragen der globalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Sie würdigten demnach die ausgezeichneten bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl sowie die zahlreichen Berührungspunkte in den Bereichen Friedenspolitik, Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung und in humanitären Fragen.
Ein wichtiges Thema sei insbesondere die Suche nach Friedenslösungen für die Konfliktgebiete im Nahen Osten sowie die Lage religiöser Minderheiten, unter anderem in Myanmar gewesen, hieß es. Zur Sprache kam auch die Schweizergarde. Deren traditionsreicher Dienst im Vatikan sei bis heute Ausdruck der Verbundenheit zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl.
Papstbesuch "historischer Meilenstein"
Dem Weltkirchenrat gehören 348 protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische Kirchen sowie Freikirchen an. Die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet jedoch seit Ende der 1960er Jahre in wichtigen Gremien mit. Der Besuch des Papstes sei "ein historischer Meilenstein im Streben nach der Einheit der Christenheit und der Zusammenarbeit der Kirchen im Engagement für eine friedliche und gerechte Welt", sagte Tveit.
Auf dem dicht getakteten eintägigen Programm des Papstes stand neben dem Treffen mit ÖRK-Repräsentanten eine öffentliche Messe, zu der Zehntausende Menschen erwartet wurden. Aus diplomatischen Kreisen wurde beanstandet, dass Franziskus nicht vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sprach. Das oberste internationale Gremium zum Schutz der Menschenrechte tagt bei den UN in Genf.
Vor Franziskus machten erst zwei Päpste dem Weltkirchenrat ihre Aufwartung, Paul VI. im Jahr 1969 und Johannes Paul II. im Jahr 1984. Der Weltkirchenrat wurde 1948 in Amsterdam gegründet. Der Besuch des Papstes gilt als ein Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des ökumenischen Dachverbands.