Was Erdogans Wahlsieg für Christen in der Türkei bedeutet

"Die Angst wird nicht größer"

Er hat die Präsidentschaftswahl in der Türkei deutlich gewonnen. Vor allem Deutschland bildete eine Wahl-Bastion. Nun kann Recep Tayyip Erdogan seine Macht in der Türkei weiter ausbauen. Was bedeutet dies für die Christen im Land?

Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan jubeln / © Lefteris Pitarakis (dpa)
Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan jubeln / © Lefteris Pitarakis ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nach seinem Wahlsieg in der Türkei kann Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mindestens fünf Jahre lang mit deutlich mehr Macht weiterregieren. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, räumte am Montag seine Niederlage ein. Die Wahlkommission hatte Erdogan bereits in der Nacht zum Montag die absolute Mehrheit in der ersten Runde der Präsidentenwahl bescheinigt. Starken Rückhalt hat Erdogan bei in Deutschland lebenden Wahlberechtigten. Bundesweit erreichte er knapp 65 Prozent, Ince knapp 22 Prozent.

Sie halten sich derzeit in der Türkei auf. Wie haben Sie den Wahltag erlebt?

Gerhard Duncker (Langjähriger Pfarrer der Evangelischen deutschsprachigen Gemeinde in Istanbul): Wenn man nicht gewusst hätte, dass Wahlen stattfinden, hätte man es als Außenstehender nicht gemerkt. Ich wohne hier bei den Lazaristen mitten in der Stadt. Hier waren Wahllokale in der Nähe. Man merkte etwas mehr Polizeipräsenz. Aber es war ruhig. Es gab überhaupt nichts Auffälliges. Was hatte man vorher alles gedacht, was hätte wohl passieren können. Der Tag ist ganz normal gelaufen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, es gab auch keine wilden Hupkonzerte und Freudenausbrüche?

Duncker: Es wurden Feuerwerkskörper und Raketen entzündet, was in der Türkei sehr beliebt ist. Aber alles hielt sich im Rahmen. Ich hatte den Eindruck, dass in Deutschland teilweise mehr gehupt wurde als hier. Das kommt natürlich auch immer drauf an, wo man gerade ist. Aber ich war erstaunt, wie ruhig es insgesamt abgelaufen ist.

DOMRADIO.DE: In Deutschland wurde mehr gehupt, sagen Sie, was ja auch damit einhergeht, dass die Türkischstämmigen in Deutschland überdurchschnittlich für Erdogan gestimmt haben. Sie engagieren sich auch in Deutschland für interreligiösen Dialog. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die in Deutschland lebenden Türken überwiegend für Erdogan gestimmt haben?

Duncker: Ich glaube, dass es sehr viel damit zu tun hat, dass Erdogan ein Mensch ist, mit dem sich eine Vielzahl der deutschen Türken sehr gut identifizieren kann. Er verleiht ihnen wieder Respekt und Ansehen. Es gibt einen berühmten Satz von Atatürk, der heißt: "Glücklich ist der, der von sich sagt 'Ich bin ein Türke'". Das erleben diese Menschen alle wieder mit Erdogan, auf den sie das übertragen und der ihr Selbstbewusstsein in unglaublicher Weise gestärkt hat.

DOMRADIO.DE: Jetzt misst Erdogan dem Islam eine starke Rolle zu, auch in der Politik. Was bedeutet das denn für die Christen in der Türkei, wenn er jetzt mit noch mehr Macht ausgestattet ist?

Duncker: Das wird sich zeigen. Der Islam ist natürlich präsenter zu meiner Zeit gewesen, als ich hier gelebt habe. Auf dem Taksim-Platz, genau gegenüber der griechisch-orthodoxen Kirche wird eine große Moschee gebaut. Das ist natürlich auch das Recht der Türkei. Es gab bei den Christen vor allem in der Osttürkei im letzten Jahr Vorfälle, dass Kircheneigentum eingezogen wurde. Das ist zum großen Teil wieder zurückgegeben worden. Es besteht, soweit ich das beurteilen kann, im Augenblick kein Grund jetzt konkret um irgendwas Angst zu haben. Aber das Problem bleibt, dass die Zahl der Christen in dramatischer Weise zurückgeht und von daher sehe ich große Probleme für die Kirchen in der Zukunft.

DOMRADIO.DE: Offiziell genießen die Christen in der Türkei einen Minderheitenschutz. Ist das in der Realität so nachzuvollziehen?

Duncker: Die Christen sind ja durch die Lausanner-Verträge von 1923 abgesichert. Aber es gibt das Problem für alle Kirchen hier, dass sie keinen richtigen, wie mit uns in Deutschland vergleichbaren Status haben, etwa als Körperschaft. Kirchen können keine Verträge machen. Es ist schwierig, als Kirche ein Bankkonto zu eröffnen oder eine eigene Telefonnummer zu haben. Das geht dann immer über private Anmeldungen. Vor allen Dingen ist es schwierig, wenn man sich vorstellt, dass in einer Stadt von 15 Millionen Einwohnern vielleicht noch 2.000 griechisch-orthodoxe Menschen leben, einen Ehepartner zu finden. Dann hat man ein Problem, wenn man einen christlichen Ehepartner sucht. Manche Christen gehen auch ins Ausland, zum Studieren zum Beispiel, und kommen nicht wieder zurück.

DOMRADIO.DE: In Deutschland engagieren Sie sich viel für den interreligiösen Dialog. Haben Sie hier Gespräche mit türkischstämmigen Menschen über die Wahl und Erdogan geführt?

Duncker: Ich bin ja offiziell seit einem halben Jahr pensioniert. Insofern halte ich mich natürlich aus der offiziellen Politik der Kirche heraus. Natürlich habe ich nach wie vor auch private Kontakte und ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich in Deutschland mit türkischstämmigen Leuten rede, mit welcher Begeisterung die von Erdogan sprechen. Wenn man dann einen Einwand hat oder sagt, da gebe es ja auch Probleme wie die Frage von Entlassungen, dann wird das nicht als wichtiges Problem wahrgenommen. Das fällt mir schon auf.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Recep Tayyip Erdogan / ©  Uncredited/POOL Presidency Press Service (dpa)
Recep Tayyip Erdogan / © Uncredited/POOL Presidency Press Service ( dpa )

Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan fahren mit Türkeifahnen durch Hamburg / © Kay Nietfeld (dpa)
Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan fahren mit Türkeifahnen durch Hamburg / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR