DOMRADIO.DE: Den Friedensnobelpreis zurückgeben, das ist eine heftige Forderung. Wie kommen Sie dazu?
Manfred Rekowski (Präses der Evangelischen Kirche im und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland): Ich habe das daran angeknüpft, wofür die Europäische Union eigentlich den Nobelpreis bekommen hat, für ihren Beitrag für Frieden, Demokratie, Versöhnung und Menschenrechte. Der aktuelle Umgang mit den geflüchteten Menschen und wie Europa sich insgesamt bei diesem Thema verhält, entspricht überhaupt nicht dem, was zu erwarten ist von einer Wertegemeinschaft, die sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt.
Wenn wir sehen, dass jetzt Boote mit Flüchtlingen hin und her geschoben werden, dass Länder sich weigern die Aufnahme von Flüchtlingen solidarisch zu organisieren, dann ist das nach meinem Verständnis wirklich eine Kapitulationserklärung gegenüber dem, was wir eigentlich als Europäer wollen. Ich habe natürlich durch diese Forderung auch schlicht und ergreifend aufrütteln wollen, weil das, was hier aufgeführt wird – so finde ich – einfach nicht hinnehmbar ist. Das ist eine Schande für Europa.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Schiffe angesprochen, das Rettungsschiff “Lifeline“ durfte jetzt endlich nach sechs Tagen in den Hafen von Malta einlaufen. Was geht Ihnen bei solchen Bildern durch den Kopf?
Rekowski: Als Christenmenschen dürfen wir nie nur nach dem Eigennutz fragen, sondern wir müssen auch immer die Situation anderer Menschen, insbesondere hilfsbedürftiger Menschen, vor Augen haben und Lösungen für sie finden. Ich finde, man muss die Menschen in den Blick nehmen, ob jetzt bei dem Gipfel in Brüssel oder bei der konkreten Frage: "Wie geht man mit den Flüchtlingen auf dem Boot um?" Das scheint mir völlig aus den Fugen geraten zu sein. Die Zahl der Flüchtlinge in Europa, auch die der nach Deutschland Gekommenen, ist seit 2015 drastisch zurückgegangen. Über welche Fragen reden wir eigentlich? Da scheint mir das Koordinatensystem erheblich durcheinandergeraten zu sein.
DOMRADIO.DE: Welche Erwartungen haben Sie an den Gipfel der europäischen 28 Staats- und Regierungschef?
Rekowski: Grundsätzlich teile ich die Haltung, dass europäische Lösungen besser sind als nationale Alleingänge. Das ist völlig richtig. Ich finde Europa muss mit dem Weltproblem Flucht solidarisch und gemeinsam umgehen.
Aber wenn es eine Lösung gäbe, die das Etikett "Europäische Lösung" trägt, bei dem aber sozusagen der Umgang mit Flüchtlingen nicht gelingt und eine humanitäre Flüchtlingspolitik auf der Strecke bliebe, dann würde ich eine solche europäische Lösung eher ablehnen.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist das Thema natürlich sehr wichtig für die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Denn wenn sie keine Ergebnisse aus Brüssel mitbringt, hat der Innenminister Horst Seehofer angekündigt, dass ab dem 1. Juli kein Flüchtling oder Migrant mehr nach Deutschland einreisen darf, der zuvor in einem anderen EU-Land schon registriert wurde. Wie finden Sie das?
Rekowski: Als Staatsbürger habe ich natürlich schon ein Interesse daran, dass wir stabile Verhältnisse und eine handlungsfähige Regierung haben. Für das, was in den letzten Tagen und Wochen in Berlin und in München aufgeführt wird, fehlt mir jedes Verständnis. Es müsste einen Masterplan geben zur Lösung der humanitären Probleme, wobei ich natürlich weiß, dass wir das nicht dergestalt lösen können, dass alles bei uns im Land gelöst wird. Das fordert auch niemand. Aber die Haltung, sich das Problem vom Leibe schaffen zu wollen und die Geflüchteten aus dem Blick zu verdrängen, irgendwo anders hin, Humanität outsourcen, das geht gar nicht.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.