DOMRADIO.DE: 230 Menschen in Not auf hoher See. Kein europäisches Land wollte das Schiff tageland anlegen lassen. Ist denn das das Ende der europäischen Humanität?
Dr. Dorothee Haßkamp (Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Das ist eine sehr gute Frage und ich ringe um Worte. Denn tatsächlich gehen uns bei dem, was wir hier in den letzten Tagen erleben, auch langsam die Adjektive aus. Es ist schon eine neue Stufe, dass wir vor Menschen, die in großer Not sind, die bereits entkräftet sind, wo es schwere Krankheiten gibt, wo die Mutter eines kleinen Babys bereits ins Koma gefallen war, wirklich unseren sicheren Hafen Europa verschließen. Damit erreicht die Abschottungspolitik in Europa eine neue Stufe. Und das sehen wir natürlich mit einer großen Bestürzung.
DOMRADIO.DE: Jetzt kommen Sie gerade von einem zweitägigen Symposium zu dem Thema Europa und Flüchtlinge. Was gab es dort zu dieser EU-Krise im Bezug auf Flüchtlinge für Vorschläge?
Haßkamp: Das ist immer der Unterschied, wem man zuhört. Es waren in Berlin sehr viele Menschen versammelt, die sich überall in der Bundesrepublik aktiv für Menschen auf der Flucht einsetzen. Und die haben natürlich jede Menge Vorschläge dafür, wie Europa menschlich und solidarisch, diese angebliche Krise, die ja, wenn wir auf die Zahlen gucken und auf das, was Europa wirtschaftlich leisten könnte, in dem Sinne keine Krise ist, was es für Handlungsmöglichkeiten gäbe.
Wir haben seit Jahren das Problem, dass sich die Staaten an den Außengrenzen – vor allem in Griechenland und Italien – allein gelassen fühlen, denn da kommen die meisten Menschen an. Diese Staaten haben jahrelang vergeblich auf die Solidarität der innenliegenden Staaten gehofft. Dieses Wiederaufleben nationalistischer Politik, das wir jetzt erleben, ist auch die Quittung dafür, dass die Bundesregierung das jahrelang ignoriert hat.
DOMRADIO.DE: Da kommen wir mal zu der Bundesregierung. Da setzt jetzt die CSU Angela Merkel gerade ganz mächtig unter Druck. Können Sie das einschätzen, was die CSU gerade betreibt in dieser Flüchtlingsfrage?
Haßkamp: Wir können das sachlich tatsächlich überhaupt nicht erklären. Es geht da um so geringe Zahlen von Menschen, die betroffen wären. Und dafür eine solche Regierungskrise in Kauf zu nehmen, das muss andere Gründe haben. Das ist nicht die Asylpolitik alleine.
DOMRADIO.DE: Könnte es die Landtagswahl in Bayern sein, die am 14. Oktober ansteht?
Haßkamp: Das, finde ich, ist eine sehr plausible Vermutung und gleichwohl glaube ich an der Stelle auch nicht, dass die Strategie aufgeht. Denn wir sehen jetzt, dass die Forderungen der AfD große Teile des politischen Diskurses der regierenden Parteien bestimmt. Da wundert uns immer wieder, dass diese unendlich vielen engagierten Menschen, die vor Ort im Zusammenleben mit Flüchtlingen und in der Flüchtlingsarbeit engagiert sind, keinerlei vergleichbare Lobby auf der politischen Ebene haben. Das ist ein großes Missverhältnis.
Wenn ich so viele Menschen habe, die sich im Alltag aufreiben, um den Menschen beim Ankommen in Deutschland möglichst gut zu helfen und dann erlebe, wie zum Beispiel die Verweigerung von Familienzusammenführung die Menschen kaputt macht, ist das nicht zu verstehen.
DOMRADIO.DE: Möglicherweise sind die Menschen, die sich engagieren, christlich dazu motiviert oder zumindest einige. Gibt es da in Ihren Augen eine Diskrepanz zwischen der Idee von Herrn Söder, den notleidenden Christus in jeder Amtsstube an der Wand haben zu wollen und die Grenze für Flüchtlinge aber dicht zu machen?
Haßkamp: Das ist tatsächlich ein paradoxes Vorgehen, zumal der Jesuiten-Flüchtlingsdienst auch den offenen Brief unterzeichnet hat, dass wir natürlich ein Kreuz im öffentlichen Raum erst mal ein begrüßenswertes Bekenntnis für christliche Werte und den christlichen Glauben finden. Dass wir aber durchaus sehen, dass in dem Zusammenhang, wie es jetzt gerade staatlich instrumentalisiert wird, es eigentlich als Symbol der Ausgrenzung genutzt wird und deswegen gar nicht in unserem Sinne ist. Etwas weniger Symbolpolitik mit dem Kreuz und etwas mehr christliche Flüchtlingspolitik, das würden wir uns sehr wünschen.
DOMRADIO.DE: In diesem Zusammenhang könnten wir noch mal kurz auf die Lifeline zu sprechen kommen, die nun in Malta anlegen darf. Gibt es da von der Bundesregierung oder aus Berlin Reaktionen?
Haßkamp: Von der Bundesregierung habe ich jetzt noch keinen Pieps dazu gehört. Das Schweigen der Bundesregierung in den letzten Tagen haben wir sehr bedauert. Denn das wäre ja ein Weg, Solidarität zu zeigen und dann auch Italien und Malta zu signalisieren, dass sie nicht alles alleine machen müssen. Es kam jetzt wohl von dem Regierenden Bürgermeister in Berlin, Michael Müller, die Ankündigung, Berlin sei als Land bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Das wäre eine super Lösung. Neapel und Barcelona haben sich wohl auch positiv geäußert.
DOMRADIO.DE: Am Donnerstag beginnt der EU-Gipfel. Gibt es bei all dieser nationalen Abschottung einzelner Länder in ihren Augen Hoffnung, dass man sich auf eine vernünftige Flüchtlingspolitik einigen kann?
Haßkamp: Da wage ich keine Prognose. Wir hätten zum Beispiel in einem ersten Schritt gerne mal den Masterplan von Horst Seehofer gesehen. Das wäre ein erster Wunsch, da Transparenz zu schaffen. Wie der Stand der Verhandlungen auf europäischer Ebene ist, das entzieht sich meiner Kenntnis.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.