DOMRADIO.DE: Wie geht es den Menschen auf dem Schiff?
Luise Amtsberg (Flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen): Den Menschen geht es gut. Das liegt vor allem an der Crew, die sich vor Ort wahnsinnig viel Mühe gibt, die Menschen zu versorgen, medizinische Hilfe zu leisten und den Menschen irgendwie Hoffnung zu machen. Aber man muss schon sagen, dass die Versorgungs- und die medizinische Situation prekär sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das kippt. Wir haben das Schiff besucht, um darauf aufmerksam zu machen, dass Zeit ein wichtiger Faktor ist. Denn morgen Abend soll schon das Wetter schlecht werden. Und ich kann Ihnen sagen: Das Schiff ist so überfüllt, dass man nicht gehen kann, ohne dabei auf Menschen zu treten. Wenn dieses Schiff in eine Unwettersituation kommt, dann muss man davon ausgehen, dass Menschen ihr Leben verlieren. Und das passiert dann in europäischer Verantwortung.
DOMRADIO.DE: Es scheint so, dass diese Flüchtlinge zum Faustpfand im Streit um die europäische Asylpolitik werden. Das sehen Sie auch so?
Amtsberg: Das ist definitiv so. Ich habe sogar das Gefühl, dass mit dem Schiff "Aquarius" in der letzten Woche, aber auch mit dem Handelsschiff, das mit 118 Flüchtlingen vor Italien liegt, ein Exempel statuiert werden soll. Das passiert natürlich auch in der Wut darüber, dass man sich europäisch nicht einigen kann, gemeinsam zu verteilen, aufzunehmen und folglich auch eine gemeinsame Verantwortung für Flüchtlinge in Europa zu übernehmen.
DOMRADIO.DE: Wie steht es denn im Moment um die hygienischen Bedingungen und die Versorgung der Menschen?
Amtsberg: Lebensmittel können derzeit gewährleistet werden. Trotzdem muss man sagen, dass die Menschen in der Regel unterernährt sind. Sie harren jetzt seit vier Tagen auf diesem Boot aus, haben kaum Bewegungsmöglichkeiten und sind natürlich auch hoffnungslos. Sie haben viel erlebt in den letzten Monaten, gerade in Libyen auch viel Gewalt erfahren. Da spielt auch die psychologische Komponente eine Rolle.
Jetzt ist es wichtig, dass sich auch die Bundesrepublik mit diesem Thema beschäftigt. Denn mit der Crew sind auch 17 deutsche Staatsbürger an Bord, für die dort eine lebensgefährliche Situation entstehen kann. Auch wenn mir diese Unterscheidung zwischen den Menschengruppen nicht gefällt, wäre es das Mindeste, wenn sich das Auswärtige Amt über die deutsche Crew informiert. Das ist aber noch nicht passiert. Man lässt die Menschen dort in der Bewegungsunfähigkeit, in einer Situation, die wirklich Menschenleben kosten kann.
DOMRADIO.DE: Italien will sogar alle Häfen für Boote von Hilfsorganisationen mit Flüchtlingen dichtmachen. Das klingt alles sehr trostlos. Welche Hoffnung haben Sie denn, dass sich im Sinne der Menschlichkeit noch etwas tun kann?
Amtsberg: Im allerschlimmsten Fall ist es so, dass wir jetzt die letzten Wochen europäischer Humanität erleben. Denn, was im Moment passiert, zielt nicht mehr auf ein gemeinsames europäisches Asylrecht, stattdessen wird – angestoßen durch den italienischen Innenminister Salvini, aber auch durch Horst Seehofer – auf Abschottung gesetzt. Wissend, dass das keine Probleme löst.
Die Menschen, die in Libyen derzeit um ihr Leben bangen, sind in großer Zahl als Migranten nach Libyen gekommen. Aber aufgrund der großen Gewalt, die sie dort erfahren, sehen viele keinen anderen Ausweg, werden zu Flüchtlingen und versuchen den Weg übers Mittelmeer. Und wenn man diese Krise nicht anerkennt, dann wird sich die Situation auf dem Mittelmeer auch nicht ändern. Da kann man eine noch so nationale Abschottungspolitik betreiben, Häfen dichtmachen, dann werden wir uns jeden Tag mit so einer Situation wie die der Lifeline auseinandersetzen müssen. Wenn das der europäische Ansatz sein soll, dann haben wir keine gute Zukunft zu erwarten.
Das Interview führte Dagmar Peters.