Neuregelung des Familiennachzugs aus der Sicht einer Helferin

Der Wahnsinn des Behördendschungels

Lange hat die Koalition über den Familiennachzug für Flüchtlinge gestritten – nun gelten neue Regeln. Silvia Heimanns betreut minderjährige Flüchtlinge und Familien. Sie sieht in den Regelungen noch keine Lösung für Alltagsprobleme.

Flüchtlingsfamilie / © Patrick Pleul (dpa)
Flüchtlingsfamilie / © Patrick Pleul ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Regelung gilt für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz, subsidiär heißt was genau?

Silvia Heimanns (Sozialdienst Katholischer Frauen): Ich spreche einfach mal von den Minderjährigen. Ich bin hauptsächlich Vormund. Das heißt, ich stelle für diese Kinder und Jugendlichen einen Asylantrag. Und dann durchlaufen sie ein Asylverfahren. Entweder erhalten sie dann eine Flüchtlingseigenschaft oder eine Anerkennung auf Asyl. Wenn beides abgelehnt wird, dann tritt der sogenannte subsidiäre Schutz in Kraft. Und das betrifft die Flüchtlinge aus Syrien, weil eben gesagt wird, das sei eine individuelle Bedrohung durch den Bürgerkrieg.

DOMRADIO.DE: Was ist die Flüchtlingseigenschaft?

Heimanns: Eine Flüchtlingseigenschaft bekommt man, wenn man von einer gesamten Gruppe wegen einer Religion, Zugehörigkeit oder Nationalität bedroht ist.

DOMRADIO.DE: Asyl bekommt man wann?

Heimanns: Asyl bekommt man, wenn man politisch verfolgt ist. Und das trifft in der Regel auf diese Kinder nicht zu.

DOMRADIO.DE: Das heißt aber diese Regelung – so hört sich das an – ist für Sie erstmal eine gute Nachricht?

Heimanns: Das hört sich erstmal wie eine gute Nachricht an. Allerdings muss ich sagen: Wir sind hier in der Praxis tatsächlich tagtäglich mit den Schicksalen befasst. Und da zeigt sich einfach eine ganz andere Praxis. Bei denjenigen, die vor drei Jahren schon die scheinbar "bessere" Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen haben, ist bis heute noch keine Familien nachgereist.

DOMRADIO.DE: Was halten Sie ansonsten von den neuen Regelungen? Sind die praxistauglich? Die Begrifflichkeiten sind da doch teilweise ein bisschen schwammig. Zum Beispiel, wenn Gründe dafür sein können, dass die Integrationsaussichten erfolgreich sind, stellt man sich die Frage: Wie lässt sich das überhaupt prüfen und konkretisieren? Wie kann man Entscheidungen treffen, wer darf und wer nicht?

Heimanns: Das ist die große Frage, die ich mir selber stelle. Also für mich hat das eher den Eindruck, dass man es auch auslosen könnte. Nach welchen Kriterien soll das beurteilt werden? Also: Gut gelungene Integration heißt natürlich auch, wie sehr hatten die Kinder in der Zeit, in der sie jetzt hier sind, die Möglichkeit sich gut zu integrieren? Wenn ich natürlich ein Geschwisterpaar aus Syrien nehme oder vier Geschwister, für die ich konkret zuständig bin, dann sind die gekommen, da war die Kleine neun, der Bruder 16 und die ältesten beiden Zwillings-Geschwister 18 Jahre alt. Die schlagen sich hier alleine durch; weit weg von den Eltern. Sie müssen alles alleine regeln. Der 16-Jährige zum Beispiel denkt darüber nach: Werde ich meine Eltern jemals wiedersehen? Er ist depressiv geworden. Der hatte natürlich keine Chance, sich gutmöglichst zu integrieren. Er hängt in allem ein bisschen hinterher. So ist er zum Beispiel schon benachteiligt.

DOMRADIO.DE: Er würde aber zu denen gehören, die tatsächlich jetzt die Möglichkeit hätten, ihre Eltern nach Deutschland zu holen.

Heimanns: Ja, genau.Theoretisch.

DOMRADIO.DE: Können Sie ganz konkrete Änderungsvorschläge formulieren, wo Sie sagen: Da sind Stellschrauben, da muss definitiv noch dran gedreht werden?

Heimanns: Das, was für mich einfach Wahnsinn ist, ist der Behördendschungel. Wir hören jetzt, dass Familiennachzug möglich ist. Ich bin letzte Woche mit einer Familie, die gerade mit gültigem Visum eingereist ist, in einem Behördendschungel unterwegs gewesen, den ich, die der deutschen Sprache mächtig ist, gar nicht mehr nachvollziehen kann. Ich werde von A nach B und C und wieder zurück zu A geschickt. Es scheint einfach unterschiedliche Infos bei den einzelnen Stellen zu geben. Sie haben das Wissen nicht. Teilweise hat man auch das Gefühl, dass es einfach Willkür ist. Das heißt, es ist einfach undurchsichtig. Sogar für mich. Aber wie soll das ein frisch eingereister Mensch verstehen? Das wäre das Größte, was ich anprangern würde. Die lange Verweildauer und die Undurchsichtigkeit.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR