"Das ist nicht mein Land", sagt Kadir Ahmed. "Ich möchte in unser Land zurück." Der 24-Jährige lebt im hoffnungslos überfüllten Flüchtlingslager Kutapalong in Bangladesch. Wie er würden die meisten der hier und in benachbarten kleineren Lagern untergebrachten 600.000 Rohingya-Angehörige lieber heute als morgen in ihre Heimat Myanmar zurückkehren. Doch daran ist vorerst nicht zu denken.
Vor einem Jahr, am 25. August 2017, begann die gewaltsame Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya aus Myanmars Teilstaat Rakhine. Nach offizieller Darstellung Myanmars war ein Angriff der mit Flinten und Macheten bewaffneten Rohingya-Miliz ARSA auf einige Polizeistationen in Rakhine Auslöser dafür. Als Reaktion erklärte die Armee alle Rohingya zu Terroristen. Es folgte eine Gewaltwelle aus Mord, Folter, Vergewaltigung und Brandstiftung.
Ein Völkermord?
Das 1982 von der damaligen Militärjunta erlassene Staatsbürgerrecht Myanmars zählt die Rohingya nicht zu den 135 offiziell anerkannten ethnischen Gruppen. Sie gelten daher nicht als Staatsbürger und sind Willkür weitgehend schutzlos ausgeliefert. Myanmar ist bislang weder zu einer Gewährung der Staatsbürgerschaft für die Rohingya noch zu Garantien zu ihrem Schutz vor Gewalt und Diskriminierung bereit. Und jüngste Entwicklungen deuten nicht darauf hin, dass sich daran viel ändern wird: In den Flüchtlingsausweisen der Rohingya in Bangladesch soll nun auf diplomatischen Druck Myanmars der Eintrag "myanmarische Nationalität" gestrichen werden.
Menschenrechtsorganisationen werfen Myanmar vor, die Vertreibung der muslimischen Minderheit von langer Hand geplant zu haben. "Völkermord passiert nicht spontan", sagt Matthew Smith, Leiter der Menschenrechtsgruppe "Fortify Rights". In der Dokumentation "Sie gaben ihnen lange Schwerter" haben die Menschenrechtler Belege aufgeführt, die die Vorwürfe der systematischen ethnischen Säuberung und des Völkermords erhärten sollen.
"Wir haben geweint und geschrien"
Seit 2016 habe die Armee ihre Aktion vorbereitet – mit der Beschlagnahmung von "scharfen Gegenständen", dem Abriss von Zäunen vor Rohingya-Grundstücken und körperlicher Schwächung der Menschen durch das Verbot humanitärer Hilfe wie Lebensmittellieferungen, heißt es. Parallel dazu habe das Militär seine Truppen massiv verstärkt und die buddhistische Bevölkerung durch paramilitärische Ausbildung als Hilfstruppe rekrutiert.
"Sie gaben ihnen lange Schwerter", sagt Mohammed Rafik über die Bewaffnung der Buddhisten. Der 25-jährige Rohingya-Angehörige wurde am 30. August 2017 Augenzeuge eines Massakers in dem Dorf Tula Toli. Die 50-jährige Rashida musste dort den Mord an ihren beiden erwachsenen Söhnen mit ansehen. "Die Soldaten zwangen sie, sich auf den Boden zu legen. Dann haben sie ihnen die Kehlen durchgeschnitten. Wir haben geweint und geschrien."
Gut eine Million Flüchtlinge
Armee und Regierung von Myanmar weisen den Vorwurf vorsätzlicher gewaltsamer Vertreibung als maßlose und vorsätzliche Übertreibung westlicher Medien zurück. Gleichzeitig aber verhindern Staatsrätin Aung San Suu Kyi und Armeechef Min Aung Hlaing jede unabhängige Untersuchung.
Angesichts des Leids der Rohingya öffnete Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina im August 2017 die Grenze und ließ die Flüchtlinge ins Land. Rund 700.000 Menschen kamen, zusätzlich zu den rund 300.000 aus früheren Vertreibungen.
Versorgung der Menschen funktioniert nur leidlich
Ein Jahr später leben die Flüchtlinge noch immer in provisorischen Behausungen aus Bambus und Plastikplanen. Die Versorgung von rund einer Million Menschen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten durch die Behörden von Bangladesch, die Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen funktioniere leidlich, heißt es in UN-Berichten; es hapere aber an der Finanzierung.
Als Folge von Massenvergewaltigungen im Zuge der Vertreibung erleben die Lager einen Babyboom. 16.000 Babys wurden in diesem Jahr bereits geboren; bis Jahresende sollen es 32.000 weitere sein. Körperliche und sexuelle Gewalt wird aber auch in den Flüchtlingslagern zu einem wachsenden Problem. Immer häufiger werden Frauen entführt und in Bordellen in der Stadt Cox's Bazar zu Prostitution gezwungen.
Rohingyas sind längst Politikum geworden
Unterdessen plant die Hilfsorganisation Caritas den Bau von besseren Unterkünften. "Den Bau dauerhafter Häuser haben die Behörden von Bangladesch nicht genehmigt", sagt James Gomes, Caritas-Chef des Erzbistums Chittagong. Man will jeden Eindruck einer dauerhaften Ansiedlung oder Einbürgerung der Rohingya vermeiden.
Die Flüchtlinge sind eine Last für das arme Land. Zudem werden sie im beginnenden Wahlkampf zum Politikum. Die Stimmung in dem mehrheitlich islamischen Land ist angespannt; politisch motivierte Gewalt nimmt zu, Islamisten und Terroristen bedrohen die innere Sicherheit.
Gefahr von Erdrutschen
Trotzdem – die von der Caritas geplanten stabileren Behausungen sollen gebaut und zum Standard für das Lager werden. Allerdings kommen sie für die aktuelle Monsunzeit zu spät. Wolkenbrüche und Stürme bedrohen die Flüchtlinge. Unwetterschäden an den sanitären Einrichtungen verseuchen das Wasser; Infektionskrankheiten nehmen zu.
An den für den Bau der Lager abgeholzten Hügeln nimmt mit jedem Regenguss die Gefahr von Erdrutschen zu. "Davon könnten bis zu 250.000 Menschen betroffen sein", warnen die UN. Mit Hilfe der Caritas soll die Erdrutschgefahr für den Monsun 2019 reduziert werden. Gomes sagt: "Wir haben schon Setzlinge für eine Wiederaufforstung bestellt."