"Welch ein Bild – ein gut gefüllter Dom!" Lydia Wallraf-Klünter, die Kölner Diözesanvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), freut sich sichtlich, als sie die weit über 2.000 Frauen aus allen Teilen des Erzbistums im Kölner Dom zur Festandacht begrüßt. Wieder einmal – wie so oft in diesem Jubiläumsjahr zum 100-jährigen Bestehen des Diözesanverbandes – sind die vielen Frauen an der Basis zu einer Feierstunde eingeladen. Diesmal in den liturgischen Raum. Denn das "Frauenwort" der kfd Köln findet traditionell im Kölner Dom statt.
"Am Ambo und nicht nur in der Bank stehen"
Lange vor Andachtsbeginn sind alle Bankreihen der Kathedrale bis auf den letzten Platz besetzt. Denn das Frauenwort – "eine Errungenschaft, die wir anfangs nur gegen manchen Widerstand im Domkapitel durchsetzen konnten", wie sich die geschäftsführende Diözesanreferentin Ursula Sänger-Strüder erinnert – gibt es so in keinem anderen Bistum und es erfreut sich, jedes Jahr neu, wachsender Beliebtheit.
"Dabei war geworade das uns damals wichtig: am Ambo und nicht nur in der Bank zu stehen, um genau an dieser zentralen Stelle unsere theologische Kompetenz wahrzunehmen", ergänzt die Kölner Diözesanvorsitzende Wallraf-Klünter. Zu recht sind die Kölnerinnen daher auf dieses Alleinstellungsmerkmal innerhalb des kfd-Bundesverbandes stolz.
Das Wichtigste dabei aber sei, die eigene spirituelle Befähigung zum Ausdruck zu bringen und eigene Charismen in den Dienst aller Frauen zu stellen bzw. sie mit anderen zu teilen. Schließlich mache das den Mehrwert einer großen Gemeinschaft wie der kfd aus, so die kfd-Vorstandsfrau.
Annette Schavan im "Frauenwort": Aufstehen und dagegenhalten
In diesem Jahr war das Frauenwort mit Rednerin Annette Schavan ausgesprochen prominent besetzt. Bis Juni war die gebürtige Rheinländerin noch Botschafterin am Heiligen Stuhl, davor Bundesbildungsministerin. Sie war eine der Vizepräsidenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und lehrte einige Jahre auch als Honorarprofessorin für Theologie an der Freien Universität Berlin.
Dass sie mit dieser Expertise bei der kfd genau richtig war, zeigte die 63-Jährige dann mit ihren Ausführungen zum Thema "Frieden". Denn anders als in den Jahren zuvor war das Frauenwort diesmal Teil der Domwallfahrt. Und so stand in Anlehnung an das Wallfahrtsmotto "Dona nobis pacem" auch das Frauenwort unter dieser Überschrift – mit der Ergänzung "Unterwegs im Auftrag des Friedens".
Dass dieses bewusst genannte Selbstverständnis zu jeder einzelnen kfd-Frau gehört, nämlich Friedensstifterin zu sein, aber grundsätzlich auch Herausforderung für jeden Christen sein sollte, machte Schavan sehr schnell in ihrer Ansprache deutlich. Dabei stellte sie Überlegungen zu einem immer wieder bedrohten Frieden in Gesellschaft und Kirche an, formulierte aber auch den dringenden Appell, aufzustehen und dagegenzuhalten, wie es die Frauen in diesem 100-jährigen kfd-Verband, aber auch schon zu Beginn der 2000-jährigen Geschichte des Christentums gemacht hätten.
Zu allen Zeiten habe es starke Frauen gegeben
Es seien die Frauen gewesen nach dem Ersten Weltkrieg, die in Kirche und Gesellschaft hinein Zeichen gesetzt, sich um Werke und Räume der Gerechtigkeit als Schlüssel zum Frieden bemüht hätten. Auch mit ihrem Gebet hätten sie das Gesicht ganzer Gemeinden geprägt, skizzierte Schavan. Zu allen Zeiten habe es in der Geschichte des Christentums starke Frauen gegeben, die viel bewirkt hätten – angefangen bei den Frauen, die als erste zum leeren Grab gegangen seien.
„Auch heute brauchen wir in Kirche und Gesellschaft wieder genau das, was von den ersten Christen gesagt wurde und was viele Frauen in den 2000 Jahren realisiert haben, die die ersten Christen und Menschen des neuen Weges genannt wurden“, betonte die Rednerin. „Wir brauchen Menschen des neuen Weges. Sie sind notwendig, wenn spürbar und offenkundig ist, dass es so, wie es bislang war, nicht weitergehen wird“, unterstrich sie. Die Aufforderung, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen, seien zeitlos und richteten sich an jeden Einzelnen Dabei falle der Friede nicht vom Himmel, und es reiche auch nicht, allein auf die Regierenden zu hoffen.
Vielmehr brauche es Bewegung in den Zivilgesellschaften, in denen Zeichen gesetzt werden müssten – entgegen denen, die immer häufiger auf Sturm, Spaltung und Abschottung gestellt seien. Wer, wenn nicht Christinnen und Christen, machte Schavan Mut, müssten dagegen aufstehen. Denn Friedlosigkeit habe viele Gesichter. Es finge bereits im Kleinen – bei der Sprache – an, analysierte sie: mit Worten, die spalten und zerstören, die Angst schüren und Ablehnung säen und die auch ganz bewusst so gesprochen werden, um Unsicherheit zu stiften. Beispielsweise wenn Barmherzigkeit Gutmenschentum genannt würde. "Dabei ist Politik ohne Barmherzigkeit nach meiner Erfahrung purer Zynismus." Sprache schaffe Wirklichkeit, und Sprache könne die Wirklichkeit verändern. In der Geschichte habe Friedlosigkeit oft mit Sprache begonnen. "Und am allermeisten in dem Moment, wo Sprache eingesetzt wird, um zu unterscheiden zwischen ‚denen und uns’", sensibilisierte die Theologin ihre Zuhörerinnen. In der Konsequenz bedeute dieses "die und wir" dann Zerstörung.
Sich nicht von der Angst leiten lassen
Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete warnte auch davor, sich von der Angst leiten zu lassen. "Sie ist kein guter Berater. Sie macht uns unberechenbar. Angst provoziert, dass Fakten durch Emotionen ersetzt werden." Angst lasse Gespenster aufsteigen, die statt Chancen nur noch Krisen offenkundig machten. "Und wer keine Möglichkeiten mehr spürt, sondern nur Probleme, der wird ängstlich und unberechenbar." Auch so beginne Friedlosigkeit.
Dem gegenüber stellte Schavan die Europäische Union als eines der größten Friedenswerke, das ganz Europa diene und die größte Friedensbrücke in der Geschichte Europas darstelle. Gerade darum sei es damals auch gegangen, weil die Generation von Konrad Adenauer, Robert Schumann, De Gasperi und vielen anderen erlebt habe, was Aufbau nach der Zerstörung bedeutet, würdigte sie die Arbeit der Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft.
Jeder jungen Generation müsse das Bemühen um Frieden aufgetragen werden, mahnte sie. Denn es sei bedrohlich zu glauben, diese Europäische Gemeinschaft würde nicht gebraucht, sei Belastung und jeder schaffe es besser alleine. "Die Gemeinschaft ist das große Friedenswerk der Generationen vor uns, und wir werden einmal gefragt werden – und das gilt für alle europäischen Länder – was unsere Generation, die nur Frieden kennt, der nächsten Generation hinterlässt. Nein, der Individualismus darf nicht Einzug halten in die Politik", argumentierte die CDU-Politikerin leidenschaftlich unter dem zustimmenden Applaus der vielen kfd-Frauen. "Die Politik lebt von Gemeinschaft, vom Gemeinwesen, von denen, die zusammenführen, und nicht von jenen, die Gesellschaften spalten."
Schlussmachen mit der Unterscheidung von "denen und uns"
Schavan betonte auch den Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit. Nur da, wo Gerechtigkeit geschaffen werde, werde auch Frieden geschaffen. "Das ist die große, in jeder Generation neu zu leistende Aufgabe. Und: den Frieden nicht erst da bedroht zu sehen, wo die Waffen erhoben werden." Jeder müsse Sorge dafür tragen, dass es in Gesellschaft und Kirche gerecht zugehe und Schluss gemacht würde mit der Unterscheidung von "denen und uns".
Und sie forderte Respekt ein: vor der Würde eines jeden Menschen, vor dem Werk der Gerechtigkeit, vor der Freiheit und der Demokratie. Respekt "vor dem immer wieder neuen Dialog, der notwendig ist in unserer Gesellschaft, und nicht zuletzt vor denen, die Verantwortung tragen". Denn sie benötigten Unterstützung. "Und Unterstützung beginnt mit dem Respekt, mit der Wertschätzung. Gesellschaften, die Räume für Gerechtigkeit schaffen, sind Gesellschaften, in denen Wertschätzung und Respekt zu den Grundhaltungen gehören."
Der neue Name für Friede sei Entwicklung, Gerechtigkeit, Respekt und Wertschätzung. "Und dann noch", gab Schavan der großen kfd-Gemeinde im Dom mit auf den Weg, "die Überzeugung, dass uns manchmal nur noch das Beten bleibt, weil am Ende Er es ist, in dessen Frieden wir einkehren dürfen."
Weiße Luftballons für Frauenarbeit und Frieden
Wen konnte es da wundern, dass wie ein Ausrufezeichen hinter diesem Schlusssatz Schavans der kfd-Vorstand gemeinsam mit seinem Gast im Anschluss auf der Domplatte zehn weiße Luftballons in den Himmel steigen ließ. Jeder stand für ein Jahrzehnt Frauenarbeit im Erzbistum Köln. Und mit jedem verknüpften Lydia Wallraf-Klünter und ihre Mitstreiterinnen die Bitte um Frieden auch für die kommenden Herausforderungen des größten katholischen Frauenverbandes in Deutschland.