Berlins Erzbischof reflektiert das gesellschaftliche Miteinander

Offenheit gegenüber Andersdenkenden

Der Tag der deutschen Einheit jährt sich nun zum 28. Mal. Die Gesellschaft verändert sich. Ein Grund, genauer hinzusehen, findet Berlins Erzbischof Heiner Koch. Jeder Einzelne, aber auch die Kirche, müssten offener gegenüber anderen sein.

Erzbischof Heiner Koch / © Markus Nowak (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Markus Nowak ( KNA )

DOMRADIO.DE: Um das Gemeinsame soll es beim Tag der Deutschen Einheit gehen, den das Land Berlin an diesem Mittwoch ausrichtet. Mit einem ökumenischen Festgottesdienst im Berliner Dom wurden die Feierlichkeiten nun eröffnet. Sie, Herr Erzbischof, haben "Nur mit euch" – das Leitmotiv des Tages – in Ihrer Predigt aufgegriffen. Dabei haben Sie auch in die Vergangenheit geblickt?

Erzbischof Heiner Koch (Erzbistum Berlin): Ich blicke aber vor allem derzeit in die Gesellschaft. Ich erlebe sehr viele Pauschalisierungen und Populismus, wo oftmals auch wenig Lernbereitschaft vorhanden ist.

Solch eine fehlende Lernbereitschaft hatten wir in der deutschen Geschichte öfters. Gerade in diesen Tagen erinnern wir uns auch an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, wo auch zu wenige bereit waren, zu analysieren, Schuld zu bekennen und Konsequenzen zu ziehen. Und ich bin der Meinung, dass wir miteinander lernen müssen - auch mit denen, die zu uns kommen - also Flüchtlingen und Migranten.

DOMRADIO.DE: Die Gesellschaft, die müsse lernfähig sein und bleiben. Das haben Sie in Ihrer Predigt gesagt. Wie meinen Sie das konkret? Wie können wir von- und miteinander lernen?

Koch: Zunächst einmal müssen wir wahrnehmen, dass wir einen begrenzten Horizont haben. Wir brauchen die anderen. Viele totalitäre, pauschale und populistische Äußerungen sind nach meinem Empfinden darin begründet, dass sie davon überzeugt sind, die richtige Erkenntnis zu haben. "Ich brauche den andern nicht. Ich weiß, was los ist." Da scheint mir eine Grundgefahr unserer Gesellschaft zu sein.

Das Zweite ist, wir treffen uns mit Gleichgesinnten - mit denen, die unsere Überzeugungen teilen. Denen klopfen wir auf die Schultern. Mit denen haben wir die gleiche Sprachkultur. Aber was ist mit denen, die ganz andere Denk- und Lebensweisen haben, die andere Geschichten, andere Verletzungen, andere Wahrnehmungen erlebt haben? Sollten wir uns denen gegenüber nicht öffnen? Wir sollten sie nicht nur als Bedrohung wahrnehmen, sondern als Bereicherung.

DOMRADIO.DE: Also auch mit den Flüchtlingen und den Migranten, die zu uns kommen...

Koch: Und auch mit denen, die am Rande der Gesellschaft sind, den sogenannten Armen. Sie gehören zu uns und von ihnen können wir auch viel lernen. Das weiß ich in Berlin aus eigener Erfahrung.

DOMRADIO.DE: Sie haben es eben angesprochen: Der Populismus, die aktuellen Verhärtungen in unserer Gesellschaft, da herrscht viel Gegeneinander. Wie, glauben Sie, kann man das denn aufweichen?

Koch: Wie gesagt: Ohne Gesprächsbereitschaft und ohne Lernbereitschaft geht das nicht. Ohne Demut, sich selbst zu relativieren, glaube ich, wird das nie gehen. Wir brauchen den anderen, um unser Leben und unser Lernen nach vorne zu bringen.

Das gilt übrigens auch innerkirchlich. Auch bei uns gibt es Überzeugungen, dass wir wissen, wie es geht und kennen den richtigen Weg. Auch da müssen wir lernen, gerade auch derzeit in Bezug auf den Umgang mit Missbrauchsfällen. Wir können von den Opfer lernen. Auch von denen, die uns vielleicht sehr kritisch sehen oder uns sogar ablehnend gegenüber stehen.

DOMRADIO.DE: Wie wurde das Miteinander im Gottesdienst selber sichtbar?

Koch: Etwa darin, dass die sogenannten Armen am Gottesdienst auch wirklich beteiligt waren. Sie haben selbst die Stimme erhoben. Da hat meines Erachtens das stattgefunden, was ich in meiner Predigt dann auch ausdrücken wollte.

DOMRADIO.DE: Der Gedanke ist natürlich auch sehr wohltuend, zu sagen: ein Miteinander würde uns helfen, in eine bessere Zukunft zu kommen. Jeder muss bei sich anfangen. Das ist das, was ich herausgehört habe. Aber dennoch: Was glauben Sie, wie kann es wirklich konkret umgesetzt werden kann?

Koch: Zunächst einmal ist es ein Appell an den Einzelnen, aber auch an uns als Institution und natürlich auch in den Staat. Der ist natürlich am Tag der Deutschen Einheit auf besondere Weise im Blickwinkel. Wir müssen uns die Fragen stellen: Fördern wir solche Kommunikation? Fördern wir den Austausch? Fördern wir wirklich das Miteinander? Das ist schwierig, das ist anstrengend. Ich möchte auch nicht sagen, dass das alles sehr schnell und einfach möglich sei. Aber wir müssen uns um die Bereitschaft bemühen, sonst wird es kein friedvolles Miteinander in dieser Gesellschaft geben. Das werden wir noch schmerzhaft lernen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Zentrale Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit  / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Zentrale Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR