DOMRADIO.DE: Wie lernten Sie Romero kennen?
Kardinal Gregorio Rosa Chávez (Weihbischof von El Salvador): Das war im Jahr 1956: Ich war damals 14 und er war Priester in unserem Bistum San Miguel. Später durfte ich ein Jahr mit ihm im Priesterseminar zusammenarbeiten. Ich war damals 23 Jahre alt und studierte Philosophie. Für die Arbeit mit ihm unterbrach ich mein Studium und danach entschied ich mich, auch Theologie zu studieren. In diesem Jahr wurden wir Freunde, es war eine wirklich enge Freundschaft. In seinem Tagebuch taucht mein Name sehr oft auf.
Wir sprachen oft über die Ungerechtigkeit im Land und über den Konflikt, in den er mit Rom geriet, weil er das öffentlich anprangerte. Und wir wussten beide, dass er auch hier in El Salvador Feinde hatte, die ihn töten wollten. Romero war darauf vorbereitet. Und am Ende ist er den würdigsten Tod gestorben, den sich ein Priester vorstellen kann: Während der Heiligen Messe, am Altar. Das hat damals auch Papst Johannes Paul II. sehr beeindruckt, der Romero zunächst sehr kritisch gegenüberstand und dann bei seinem Besuch 1983 in El Salvador doch auch am Grab von Romero ein Gebet gesprochen hat.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
Chávez: Ich wusste, dass das passieren würde. Ich hatte am Vortag seine Predigt gehört und mir Notizen gemacht, wie ich das immer machte, um später mit ihm darüber zu sprechen. Und als er den berühmten Satz sagte: "Hört auf mit der Unterdrückung!", war mir klar, dass das sein Todesurteil sein würde. Er wusste auch, dass er sterben würde. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Er hatte nur Angst vor der Ungewissheit: Was planten sie? Vielleicht einen simulierten Autounfall oder würden sie bei ihm zu Hause vorbei kommen?
Am Tag nach dieser Predigt [Anm. der Red.: am 24. März 1980] wurde er erschossen, am Altar, genau in dem Moment, als er Brot und Wein darbringen wollte. Er hat sich in diesem Moment für die Menschen geopfert. Kann es einen wertvolleren Tod geben?
DOMRADIO.DE: Warum haben die Mörder so einen symbolträchtigen Ort gewählt?
Chávez: Ich glaube, es war eine göttliche Fügung. Man weiß heute viel über die Hintergründe. Dass der damalige Geheimdienstler Roberto D'Aubuisson den Mord in Auftrag gegeben hatte. Und dass Álvaro Rafael Saravia, ein Ex-Soldat, die Aktion organisiert hatte. Während Romero eine Messe in der Krankenhauskapelle "Divina Providencia" hielt, fuhr draußen ein rotes Auto vor, ein Scharfschütze beugte sich aus dem Fenster und schoss Romero von draußen mitten ins Herz. Das alles wissen wir, nur der Name des Schützen ist bis heute unbekannt.
DOMRADIO.DE: Was war Romero für ein Mensch?
Chávez: Er war ein zutiefst weiser Mann, der die Menschen mit seinen Worten in seinen Bann ziehen konnte. Zugleich stand er in Konflikt mit sich selbst, er war impulsiv und perfektionistisch.
Und er war ein zaudernder Mensch, fast ängstlich. Oft fragte er um Rat, ihm war die Meinung der Menschen wichtig und zugleich war er ein wenig menschenscheu, er ging ihnen aus dem Weg. Dagegen kämpfte er an, das wissen wir aus seinen Aufzeichnungen, er erwartete von sich selbst, freundlicher zu sein, offener und geduldiger. Er war ein schwieriger Charakter, am Ende hat er sich geändert, aber sein größter Kampf war immer der gegen den eigenen Charakter gewesen.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich die vergangenen Jahrzehnte unermüdlich für seine Selig- und Heiligsprechung eingesetzt. Was bedeutet es Ihnen persönlich, dass Oscar Romero nun vom Vatikan offiziell in den Stand der Heiligen aufgenommen wird?
Chávez: Als ich ihn nach seiner Seligsprechung das erste Mal mit Weihrauch verehren durfte, habe ich zu ihm aufgeschaut und gesagt: "Endlich bist du angekommen!" Und nun wird er endlich heiliggesprochen! Papst Franziskus hat eine Reliquie von ihm in seinem Zimmer, und er sagt, dass er sie jeden Morgen, bevor er geht, küsst. Romero ist ein Heiliger, der dem Papst ganz nah ist.
DOMRADIO.DE: 1990 wurde der Seligsprechungsprozess begonnen. 2015 wurde er seliggesprochen, im Jahr 2018 heilig. Warum hat das so lange gedauert?
Chávez: Er ist der Heilige von vier Päpsten: Paul VI. hat ihn perfekt verstanden, er wusste viel über El Salvador aus seiner Zeit im Staatssekretariat. Er hatte Verständnis für Romero und ihn auch gegen die kircheninterne Kritik stets verteidigt. Und nun werden sie gemeinsam heiliggesprochen am 14. Oktober.
Danach kam Johannes Paul II., der nach seinen Erfahrungen im Kommunismus Romero gegenüber skeptisch eingestellt war. Es war die Zeit des Kalten Krieges und er verstand zunächst nicht, dass die Verhältnisse in Lateinamerika andere waren. Darum war das erste Treffen zwischen Romero und dem Papst 1979 problematisch. Romero wollte ihm über die verfolgte Kirche in seiner Heimat berichten, aber er erntete nur Unverständnis. Später hat sich das dann gewandelt und als Papst Johannes Paul II. 1983 El Salvador besuchte, hat er auch an seinem Grab gebetet, obwohl das damals ein Politikum war. Im Jahr 2000 nahm er ihn sogar in die Liste der Märtyrer des 20. Jahrhunderts auf.
Und auch Benedikt XVI. hat 2007 bei seiner Reise nach Lateinamerika erklärt, dass Romero ein "großer Zeuge des Glaubens" sei, der es verdiene, "selig gesprochen zu werden". Die Päpste haben also verstanden, wer Oscar Romero war. Und Papst Franziskus hat schon immer erkennen lassen, dass ihm an einer schnellen Heiligsprechung Romeros gelegen ist. Schon im Jahr 2007, als er noch Erzbischof von Buenos Aires war, wurde er beim lateinamerikanischen Bischofstreffen in Aparecida, Brasilien, gefragt, was er von Romero halte. Und er antwortete: "Für mich ist er ein Heiliger und ein Märtyrer. Wenn ich Papst wäre, hätte ich ihn schon heiliggesprochen."
DOMRADIO.DE: Und was ist Romeros Botschaft an die Gläubigen von heute?
Chávez: Romeros Vision war von dem Bischofstreffen in Medellín 1968 inspiriert, als sich die lateinamerikanische Kirche für die "Option für die Armen" aussprach. Seine Vorstellung war die von einer armen, missionarischen und österlichen Kirche. Eine Kirche, die keinen Kontakt zur Macht und zu den Mächtigen hat, sondern die frei ist von politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einflüssen. Und die bei den Menschen ist, die leiden. Das war sein Leitbild und das ist ja auch das, was Franziskus heute will. Darum sieht der Papst in ihm auch ein Vorbild für jeden Priester und für die Kirche, von der er will, dass sie eine arme Kirche für die Armen ist. Als Priester ähneln sich die beiden sehr, darum ist der Papst Romero auch so nah.
DOMRADIO.DE: Gibt es nicht die Sorge, dass Romero jetzt von den Mächtigen des Landes als Heiliger vereinnahmt wird? Auch von denen, die damals gefeiert haben, als er getötet wurde?
Chávez: Ja, es gibt diese Sorge, die Frage: was für einen Heiligen werden wir haben? Einen weltlichen Heiligen oder einen Propheten? Und es gibt auch Menschen, die gegen die Heiligsprechung sind, weil sie sagen, er werde vereinnahmt von denen, die andere Ziele haben.
Aber so ist es nicht: Sie werden am Sonntag den Propheten heiligsprechen, einen Mann, der sein Leben für das Volk gab. Und mit ihm, das hat die Seligsprechung gezeigt, wird auch wieder über die Geschichte unseres Landes gesprochen. Viele Menschen merkten plötzlich: Ich habe mich geirrt, ich dachte immer, Romero sei ein Kommunist gewesen. Aber er ist ein Heiliger.
Die Heiligsprechung wird von Millionen Menschen weltweit erwartet. Auch für Menschen, die nicht glauben, ist er ein Heiliger, ein Vorbild. Und das ist wirklich ein einzigartiges Phänomen in den vergangenen Jahrhunderten.
Information: Das Interview wurde im Rahmen einer Journalistenreise mit dem katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat nach El Salvador geführt. Die Fragen stellte u.a. Ina Rottscheidt für DOMRADIO.DE.