Der "Palast der Nationen" in Genf sieht so aus, wie er heißt: Ein beeindruckender Gebäudekomplex mit strahlend heller Fassade. Dort unterhält die UN den nach ihrem Hauptquartier in New York wichtigsten Sitz. Und dort wurden die am Montag beginnenden Verhandlungen organisiert, in denen es ebenfalls um helle Fassaden geht - aber auch um schmutzige Geschäfte, die sich dahinter abspielen.
Seit 2014 versucht der UN-Menschenrechtsrat ein Abkommen auszuhandeln, das große Konzerne bei ihren internationalen Aktivitäten stärker in die Pflicht nimmt, die Menschenrechte einzuhalten. Eine sogenannte zwischenstaatliche Arbeitsgruppe tagte bereits dreimal zu dem Thema, jetzt trifft liegt ihr erstmals ein konkreter Entwurf für das Abkommen vor.
Unternehmen beschneiden Menschenrechte und Umwelt
Die Fachleute reden von "Sorgfaltspflichten" und "Kollektivklagen", von Vorrangklauseln und Haftungsfragen. Das klingt sehr abstrakt, hat aber eine wachsende Dringlichkeit - und birgt jede Menge politischen Sprengstoff. Rund um den Globus sind große Unternehmen dabei, sich zu vernetzen, neue Märkte zu erschließen und ihren Bedarf an Rohstoffen zu decken.
Schwierig wird es da, wo wirtschaftliche Interessen mit Menschenrechten und Umweltschutz kollidieren. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern sitzen die Bewohner der betroffenen Regionen oftmals am kürzeren Hebel. Beispiel Ecuador: Im dortigen Amazonasgebiet förderte Texaco zwischen 1964 und 1992 Erdöl in großem Stil.
Nach Darstellung der Bewohner leitete die US-Firma verschmutztes Wasser in die Flüsse; die Zahl der Krebsfälle sei seither massiv gestiegen. Lecks bei der Ölförderung hätten zudem 450.000 Hektar Regenwald zerstört. Rund 30.000 Betroffene klagten auf Wiedergutmachung. Bisher sind sie leer ausgegangen.
"Wirtschaftsbezogene Menschenrechtsvorwürfe" nehmen zu
Offenbar nehmen derartige Probleme weltweit zu, wie eine Studie der Universität Maastricht zeigt. Zwischen 2005 und 2014 führt sie 1.877 "wirtschaftsbezogene Menschenrechtsvorwürfe" auf. Davon verwiesen mehr als 80 auf DAX-Konzerne, was der Bundesrepublik im internationalen Vergleich einen fünften Platz sicherte.
Ausgerechnet Deutschland aber, so sagen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, gehört bei den Verhandlungen bislang zu denen, die auf die Bremse treten. Während sich manche Staaten wie Finnland und Frankreich zumindest offen für Kompromisse zeigten, spiele die Bundesregierung auf Zeit, kritisiert Armin Paasch von Misereor.
Das katholische Werk für Entwicklungszusammenarbeit gehört zur "Treaty Alliance", zu der sich mehr als 1.000 Organisationen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, um Druck auf die Verhandlungen zu machen. Deren Vertreter werden auch mit am Tisch in Genf sitzen, genau wie Gewerkschafter und Industrieverbände.
Es ist unklar, ob geplantes Abkommen zustande kommt
Ziel müsse sein, so Eva-Maria Reinwald vom Bonner Südwind-Institut, den Betroffenen zu erleichtern, ihre Anliegen vor Gericht zu bringen. Dazu, so argumentiert Misereor-Mann Paasch, reichten die vorhandenen Instrumentarien nicht aus. Das gelte für die 2011 verabschiedeten Leitprinzipien der UN für Wirtschaft und Menschenrechte ebenso wie für die wenigen Nationalen Aktionspläne auf Länderebene.
Ob das nun geplante Abkommen tatsächlich zustande kommt, steht in den Sternen. Kritiker der Verhandlungen werfen Ecuador, das der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe vorsitzt, Befangenheit vor. Hinzu kommt: Mit den USA fehlt ein wichtiger Player der Weltwirtschaft in Genf. Und die EU-Kommission hat aufgrund der Differenzen unter ihren Mitgliedstaaten kein Mandat erhalten, um über konkrete Inhalte zu verhandeln. Das Auswärtige Amt lässt mitteilen, der Prozess sei aktuell noch mit vielen "sachlich begründeten Fragezeichen" versehen.
Angesichts dieser Konstellation wäre es schon ein Gewinn, wenn die bis kommenden Freitag laufenden Gespräche erste Fortschritte in Kernpunkten des Entwurfs bringen, meint Paasch. Immerhin: Nahmen an der ersten Runde gerade einmal 60 Staaten teil, waren es im vorigen Jahr schon 101. An Außenminister Heiko Maas appelliert Misereor, sich für die Menschenrechte und eine Stärkung multilateraler Vertragswerke einzusetzen. Damit die diesbezügliche Rede des SPD-Politikers unlängst vor der UN-Vollversammlung nicht bloß Fassade bleibt.
Von Joachim Heinz