Ottmar Edenhofer zu Folgen des Klimawandels und Rolle der Kirche

"Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben"

In Fragen des Klimawandels ist Ottmar Edenhofer ein weltweit gefragter Experte. Als neuer Co-Direktor über die künftige Ausrichtung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung äußert sich der ehemalige Jesuit auch zur Rolle der Kirche.

 (DR)

KNA: Herr Professor Edenhofer, warum hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung jetzt eine Doppelspitze, bisher hat doch ein Direktor gereicht?

Ottmar Edenhofer (Co-Direktor über die künftige Ausrichtung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung): Das Institut hat sich zur Aufgabe gemacht, Ursachen und Folgen des Klimawandels zu analysieren. Dabei spielen nicht nur die Naturwissenschaften eine Rolle, sondern auch die Sozialwissenschaften, Risikoforschung und Lösungsforschung müssen dabei zusammenkommen. Wir müssen nicht nur untersuchen, wie sich das Klima verändert und mit welchen Folgen, es gilt auch zu verstehen, wie Menschen auf den Klimawandel reagieren und warum sie vielleicht zögern, gegen den Klimawandel vorzugehen. Für diese beiden Perspektiven stehen Johan Rockström und ich als neue Doppelspitze . 

KNA: Was ist Ihre Funktion?

Edenhofer: Ich bin Sozialwissenschaftler. Von Hause aus bin ich ein mathematisch orientierter Klimaökonom, aber natürlich mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen. Bei meinem Kollegen Johan Rockström ist es anders herum. Als Doppelspitze werden wir diese beiden Perspektiven künftig so stark wie nie zusammenführen.

KNA: Wo wollen Sie inhaltlich neue Akzente setzen?

Edenhofer: Wir wollen sehr viel stärker künstliche Intelligenz nutzen, um festzustellen, wie Menschen etwa auf Dürren oder Überschwemmungen reagieren. Ein wichtiger Faktor ist dabei offenbar, wie arm oder reich die Betroffenen sind. Arme Menschen neigen zum Beispiel viel stärker dazu, ihre Kinder nach solchen Katastrophen nicht mehr in die Schule zu schicken, weil ihnen der entscheidende Wert der Bildung zu wenig bewusst ist. Dies kann dann noch über Generationen negative Folgen für die Entwicklung eines Landes haben.

KNA: Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz?

Edenhofer: Um in solchen Fällen wirksam helfen zu können, ist es sehr wichtig, das Wohlstandsniveau einer betroffenen Region möglichst genau zu kennen. Das kann man etwa ermitteln, indem erfasst wird, wie viele Handys in der Region wofür genutzt werden oder wie lange nachts elektrisches Licht messbar ist. Künstliche Intelligenz, das sogenannte Maschinenlernen, kann eine wichtige Rolle spielen, konventionelle statistische Daten mit Licht- und Handydaten zu verknüpfen, um das Wohlstandsniveau und die daraus resultierenden Reaktionen auf den Klimawandel zu erfassen.

KNA: Inwieweit werden Sie von der Politik gehört?

Edenhofer: Die vergangenen zehn Jahre waren klimapolitisch eine verlorene Dekade. Die Politik hat in den meisten Ländern nur sehr unzureichend auf das Problem des Klimawandels reagiert. Die Kohlendioxid-Emissionen steigen weiter, es werden weiter Kohlekraftwerke gebaut.

KNA: Sind Sie trotzdem optimistisch?

Edenhofer: Ich bin nicht optimistisch, aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Optimistisch kann man sein, wenn man glaubt, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Hoffen muss man auch dann, wenn die Entwicklung in die falsche Richtung läuft. Bei den erforderlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel gibt es die moralische Verpflichtung zur Hoffnung.

KNA: Wie groß ist die Bereitschaft, den Klimawandel als eine Ursache des Flüchtlingsproblems anzuerkennen?

Edenhofer: Wer glaubt, dass die Flüchtlingsfrage vor allem polizeilich oder militärisch zu lösen ist, verweigert sich in absurder Weise der Realität. Wenn wir irgendwann in einer Welt leben, deren Durchschnittstemperatur vier oder fünf Grad höher liegt als noch vor der Industrialisierung, ist doch völlig klar, dass noch viel mehr Menschen aus Afrika neue Lebensräume in Europa suchen werden.

Deshalb müssen wir unbedingt dafür sorgen, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, wie im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben. Zudem müssen wir ein humanes System zur Aufnahme von Flüchtlingen entwerfen, das die Lasten fair verteilt.

KNA: Zu Ihnen persönlich: Sie waren sieben Jahre Jesuit. Was ist davon geblieben?

Edenhofer: Vieles. Sicherlich die Aufforderung des Ordensgründers Ignatius von Loyola, Gott in allen Dingen zu finden, und die Gewohnheit, täglich zu meditieren.

KNA: Stimmt es, dass Sie an der Umweltenzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus mitgeschrieben haben?

Edenhofer: Ich habe mit dem Papst über die Enzyklika gesprochen und ebenso mit Leuten im Vatikan, die sie vorbereitet haben.

KNA: Was ist eingeflossen von Ihrem Denken?

Edenhofer: Es ist vor allem die Passage, die betont, dass die Atmosphäre ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist. Diese Feststellung ist für eine Weiterentwicklung der katholischen Soziallehre fundamental. Es geht um die radikale Orientierung einer globalen Politik am Gemeinwohl, das ist revolutionär. Klimapolitik kann dann bedeuten, den Ausstoß von Kohlendioxid zu begrenzen und deshalb in die Eigentumsrechte der Kohle- und Gasbesitzer einzugreifen, weil sie einen großen Teil ihrer Reserven im Boden belassen müssen.

KNA: Derzeit beschäftigt sich die katholische Kirche - etwa beim Thema Missbrauch - viel mit sich selbst. Bleiben da noch Kapazitäten für Fragen der Klimapolitik?

Edenhofer: Dass in der katholischen Kirche das Vertrauen der Menschen, vor allem der Kinder, in diesem Ausmaß missbraucht wurde, ist ein himmelschreiendes Verbrechen. Dieses Problem kann die Kirche nicht lösen, indem sie sich auf sich selbst zurückzieht. Sie muss begreifen, dass sie einen neuen Umgang mit Macht, Sexualität einüben muss. Dieser neue Umgang ist ja Bewahrung der Schöpfung in einem weiten Sinn. Das betrifft auch die Frage, wie sie mit Macht und deren Begrenzung umgeht. Wenn die Kirche dafür glaubwürdige Antworten findet, wird sie ihr Blickfeld öffnen - auch auf den Klimaschutz.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.


Ottmar Edenhofer / © Cristian Gennari (KNA)
Ottmar Edenhofer / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
KNA