DOMRADIO.DE: Der Abrüstungsvertrag wurde 1987 geschlossen. Waren sie damals bei den Friedensdemonstrationen dabei?
Georg Hörnschemeyer (Pax Christi Bundesvorstand): Ich war bei solchen Veranstaltungen dabei, aber das liegt alles schon länger zurück. Heute geht es nicht mehr nur um diese schönen Erinnerungen, die das Gefühl geben, damals bedeutend oder einflussreich gewesen zu sein. Es geht darum, was aus diesen Zeiten gelernt wurde.
DOMRADIO.DE: Besteht denn jetzt die Gefahr, dass Mittelstreckenraketen wieder hier stationiert werden und Europa bedrohen?
Hörnschemeyer: Ich vermute nicht, dass sie direkt stationiert werden. Es sind immer noch Restbestände auch von atomarer Rüstung in Europa vorhanden. Die stehen im Sinne der atomaren Teilhabe und unter Kontrolle deutscher Dienststellen zur Verfügung. Es ist nicht so, dass alle Atomwaffen aus dem Gebiet der Bundesrepublik völlig verschwunden sind. Ich rechne jetzt nicht damit, dass eine völlig neue Aufrüstung genau dieser alten Systeme stattfindet. Es ist einfach ein Zeichen, dass der amerikanische Präsident eine Kontrolle dieses System nicht mehr für wichtig hält.
DOMRADIO.DE: Nun wirft Donald Trump Russland vor, dass sie den Vertrag ohnehin untergraben – und schon längst Marschflugkörper aufgestellt haben. Sind diese Vorwürfe berechtigt?
Hörnschemeyer: Wir können das nicht perfekt kontrollieren. Selbst wenn Teile davon stimmen, wäre es umso wichtiger, neue Kontrollvereinbarungen aufzubauen. Es reicht nicht, Russland irgendwelche Defizite vorzuhalten. Die müssten auch bewiesen werden. Es ist wichtig, eine neue Zuverlässigkeit herzustellen und darin auch andere Großmächte zu berücksichtigen; zum Beispiel China. Denn das, was in Europa ein wichtiges Signal war, nämlich die Abrüstung zu begrenzen und zu kontrollieren, wäre auch wichtig im Konflikt um Nordkorea zum Beispiel.
DOMRADIO.DE: Da scheint es zurzeit eine neue Gereiztheit in der Welt zu geben. Die nationalen aggressiven Kräfte in vielen Ländern nehmen zu – auch das Säbelgerassel und die Drohgebärden. Wie kann es denn gelingen, diese Bewegungen aufzuhalten?
Hörnschemeyer: Es ist wichtig, in gegenseitigem Einvernehmen wieder zu solchen Plattformen der Rüstungskontrolle zurückzukehren. Gerade wenn gewisse Szenarien auftauchen, ist die Gefahr groß, dass Staaten allein aus Prestigegründen mit solchen Waffen hantieren – auch wenn sie sie nicht ernsthaft einsetzen wollen. Aber sie können sie als Drohung und Druckmittel nutzen. Das ist auch ein Punkt, der beim Iran eine Rolle spielt. Es kommt darauf an, dass diese Systeme eben nicht erweitert werden. Umso wichtiger ist es, Verträge zu machen, die genau diese Kontrolle sicherstellen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle können da auch die Christen und die Kirchen spielen?
Hörnschemeyer: Kirchen können das deutlich anmahnen. Die katholische Tradition hat immer darauf bestanden, dass atomare Waffen Massenvernichtungswaffen sind. Das heißt, sie treffen unterschiedslos alle Menschen in dem Gebiet, in dem sie eingesetzt werden. Das ist immer als moralisch nicht haltbar angesehen worden.
Auch im Unterschied zu konventionellen Waffen, bei denen man gesagt hat, dass diese eventuell begrenzt einsetzbar und kontrollierbar sind. Atomare Waffen wirken – jedenfalls nach den Erfahrungen, die wir nach Hiroshima und Nagasaki haben – praktisch flächendeckend und treffen Schuldige, Unschuldige und Unbeteiligte. Alles, was lebt, wird vernichtet. Das ist genau der Punkt, warum seit 1963 praktisch außerparlamentarisch immer gesagt wird: "Das geht so nicht." Atomare Bewaffnung ist ein Risiko, weil die Auswirkungen in keiner Weise eingrenzbar sind. Es kann eskalieren.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie denn – Sie beobachten ja diese Entwicklung schon seit Jahrzehnten: Werden wir irgendwann einmal in einer Welt ohne Atomwaffen leben?
Hörnschemeyer: Das wäre wünschenswert. Aber daran glaube ich nicht so schnell. Die wichtigsten Schritte sind die Abrüstung, das Abrüstungsabkommen wieder neu in Kraft zu setzen und sich auch daran zu halten. Immerhin ist ein Waffenstillstand die erste Voraussetzung für Frieden. Dann muss man sehen, dass man an der Stelle weiterkommt. Aber es ist leichtfertig, einfach zu sagen: "Die andere Seite hat sich vielleicht doch nicht daran gehalten; ich halte mich also auch nicht daran." Ich finde diese Leichtfertigkeit im Umgang mit solchen Verträgen gefährlich. Man kann das Abkommen ja kritisieren oder etwas dagegenhalten und sagen, der Andere ist unzuverlässig. Das berechtigt aber nicht dazu, selber unzuverlässig zu werden und das aufzugeben.
Das Interview führte Heike Sicconi.