Kardinal Schönborn zur Jugendsynode im Vatikan

"Der zentrale Punkt ist Authentizität"

Drei Wochen lang diskutierten fast 300 Bischöfe aus aller Welt über die Rolle von Jugendlichen in der katholischen Kirche. Im Interview schildert der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn seine Eindrücke und zieht eine hoffnungsvolle Bilanz.

Kardinal Schönborn / © Cristian Gennari (KNA)
Kardinal Schönborn / © Cristian Gennari ( KNA )

KNA: Herr Kardinal, dies ist die sechste Bischofssynode, an der Sie teilnehmen. Was genau unterscheidet die Jugendsynode von den vorherigen?

Christoph Kardinal Schönborn (Wiener Erzbischof): Sie war für mich die beste Synode, die ich erlebt habe. Es ist am meisten gelacht worden, es war ein unglaublich herzliches Klima. Allein die Tatsache, dass 270 Bischöfe aus aller Welt drei Wochen lang jungen Menschen zuhören, ist für mich modellhaft. Zudem ist die Methode deutlich besser geworden. So beginnt die Phase in den nach Sprachen aufgeteilten Arbeitsgruppen viel früher. Man hört nicht mehr endlose, oft zusammenhanglose Beiträge von Bischöfen. Außerdem – das hatte schon Papst Benedikt eingeführt – gibt es jeden Tag eine Stunde freie Wortmeldungen, so dass sich eine Kultur der Debatte entwickeln kann. Papst Franziskus hat zudem verfügt, dass jeweils nach fünf Wortbeiträgen drei Minuten Stille sind, um das Gehörte zu reflektieren. Anders als bei der Familiensynode gab es weniger Kontroversen. Umso intensiver war das Hinhören – mit Empathie und viel Lebenserfahrung.

KNA: Haben Bischöfe ihren Mitbrüdern früher nicht zugehört, so dass es links rein und rechts wieder rausgegangen ist?

Schönborn: Nein, das nicht. Aber früher waren keine jungen Leute da. Die gut 30 jungen Auditoren haben sehr erfahrungsbezogen und konkret gesprochen. Das hat diese Synode geprägt.

KNA: Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass Laien, insbesondere Frauen sowie die von einem Synodenthema betroffenen Personengruppen künftig besser beteiligt werden?

Schönborn: Einen Weg hat Papst Franziskus gebahnt mit der Vorsynode. Daran waren im Frühjahr 300 junge Leute aus aller Welt – nicht nur Katholiken – äußerst aktiv beteiligt. Es wird sicher einen nachsynodalen Prozess geben – auf Ebene der einzelnen Länder und Diözesen, aber auch weltweit, hoffe ich. Schon bei den Familiensynoden habe ich festgestellt: Dinge entwickeln sich, Fragen brauchen Zeit, bis sie artikuliert sind.

KNA: Zum Beispiel?

Schönborn: Dass die Lebenswelten junger Menschen überhaupt zum Thema gemacht wurden. Das habe ich in dieser Intensität bisher noch nicht erlebt. Franziskus liebt es, Prozesse anzustoßen, hinzuhören, was Gott uns durch Entwicklungen sagt. Das mag befremdlich klingen, ist aber der nachhaltigste Weg.

KNA: Sie würden nicht sagen: Bei der nächsten Synode soll die Zahl der Auditoren erhöht werden, sollte es Quoten geben für Jugendliche, Frauen, andere betroffene Personengruppen?

Schönborn: Die Synode ist eine Bischofssynode. In dieser Form hat Papst Paul VI. sie eingesetzt. Natürlich gibt es andere Formen von Synodalität – etwa in Diözesen. Die Frage der Abstimmung durch Nicht-Bischöfe ist, weil es eben eine Bischofssynode ist, ein offenes Thema. Dass die Beteiligung von Frauen bei einer Synode größer werden muss, darüber besteht – so glaube ich – große Einmütigkeit.

KNA: Synode heißt "miteinander und aufeinander zugehen". Dafür müssen sich alle bewegen. In welchem Punkt haben Sie Ihre Haltung oder Ansicht verändert?

Schönborn: Ich habe sehr viel bewusster über meine Zeit als junger Mensch im Verhältnis zur Kirche nachgedacht, mich gefragt: Wie hast du das damals gesehen? Wie siehst du es heute?

KNA: Und?

Schönborn: Im Rückblick auf die vielen Wendungen staune ich über die Fügungen Gottes: Wie entstand mein Lebensweg? Wie bildet sich überhaupt ein Lebensweg heraus? Das ist ja der rote Faden dieser Synode. Papst Franziskus wollte keine wissenschaftliche Studie, keine Statistik. Was er der Synode aufgab, ist die Unterscheidung, wie junge Menschen ihren Weg ins Erwachsenenleben, in die Berufswahl hineinfinden. Was behindert, was fördert sie?

KNA: Strittige und kontroverse Themen sind dieses Mal frühzeitig offen angesprochen worden: Missbrauch, die Distanz junger Menschen zur kirchlichen Sexualmoral. Zuletzt hörte man, einige Passagen dazu im Abschlussdokument könnten abgeschwächt werden – aufgrund von Einwürfen einiger Synodenväter. Wie schätzen Sie dies ein?

Schönborn: Zu den Wortmeldungen, Missbrauch sei nur ein Problem mancher Länder, kann man nur sagen: Das ist überall ein Thema. Nicht hinzuschauen, hilft nicht. Das Thema wird auch im Schlussdokument vermutlich gut, klar und deutlich angesprochen werden. Sich genau jetzt damit zu befassen, halte ich für völlig richtig; eine solche Synode, bei der es auch um die richtige Begleitung junger Menschen geht, gehört zur Behandlung des Problems. In der Kirche wird weltweit unendlich viel gute Jugendarbeit gemacht, sie ist Medizin gegen den Missbrauch. Gleichzeitig ist klar: Bei Missbrauch darf es keinerlei Toleranz geben. Was andere kontroverse Themen betrifft: Es ist heute möglich, unbeschwerter über Jugend und Sexualität zu sprechen. Gleichzeitig nimmt die Engführung auf Sexualität die Realität von Jugendlichen viel zu eng wahr. Es geht um Beziehung und Beziehungsfähigkeit, darum, Partnerschaft zu lernen. Darauf müsste mehr Gewicht gelegt werden.

KNA: Auf der Vorsynode wie auch jetzt wurde auch darüber gesprochen, dass junge Menschen sich andere, neue Formen von Liturgie wünschen. Welche Ergebnisse zeichnen sich da ab?

Schönborn: Das Thema war sehr gegenwärtig, aber auch schwer zu fassen: Was ist lebendiger Gottesdienst? Ein afrikanischer mit Trommeln, in dem getanzt wird, oder eine Messe in einem Kloster mit Gregorianischem Choral? In beiden findet man junge Menschen. Die Wünsche dazu sind sehr unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Es muss echt sein. Der zentrale Punkt ist Authentizität, also die Echtheit einer Gottesbegegnung. Dem soll Liturgie dienen.

KNA: "Entscheidend ist, was am Ende rauskommt", sagen Politiker und Fußballtrainer. Was wird, sollte sich jetzt ändern in der Erzdiözese Wien?

Schönborn: Nun, ich bin kein Fußballtrainer, der weiß, ob er die Erzdiözese Wien in die Champions League führen kann, was Jugend und Kirche betrifft. Das Entscheidende war für mich, dass 270 Bischöfe aus der ganzen Weltkirche drei Wochen lang mit Jugendlichen intensiven Austausch gepflegt haben. Das verändert etwas. Ich kann es nicht beziffern, weiß aber, dass weder Bischöfe noch Jugendliche mit demselben Paket heimfahren, mit dem sie gekommen sind. Wie genau diese Synode sich auswirkt, kann ich noch nicht sagen, weiß aber, dass die Familiensynode tiefgreifend einiges verändert hat. Es ändert sich der Blick auf Lebenssituationen.

Das Interview führte Roland Juchem.


Quelle:
KNA