An diesem Freitag stand vor allem der 80. Jahrestag der NS-Novemberpogrome im Mittelpunkt des öffentlichen Gedenkens - und die Lehren, die man nach den Worten von Politikern und Religionsvertretern daraus für die Gegenwart ziehen kann: nicht wegschauen, Antisemitismus bekämpfen, sich Schmerz und Verlust stellen und für die Demokratie einsetzen.
Steinmeier: Es braucht Mut, sich für "historische Errungenschaft" der Demokratie einzusetzen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte in einer Gedenkstunde im Bundestag an alle drei Ereignisse - und rief dazu auf, sich gegen Ausgrenzung und für Demokratie zu engagieren. "In unserem Handeln müssen wir beweisen, dass wir, die Deutschen, wirklich gelernt haben, dass wir wirklich wachsamer geworden sind im Angesicht unserer Geschichte." Man müsse widersprechen, "wenn Gruppen zu Sündenböcken erklärt werden, wenn Menschen einer bestimmten Religion oder Hautfarbe unter Generalverdacht gestellt werden."
Es brauche auch heute Mut, sich für die "historische Errungenschaft" der Demokratie einzusetzen, sagte das Staatsoberhaupt weiter. Er wünsche sich, dass am 100. Geburtstag der Demokratie in Deutschland möglichst viele Menschen diesen Mut fassten. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erinnerte daran, dass die Freiheit erkämpft werden musste. "Gefährden wir Frieden und Freiheit nicht, niemals wieder. Das ist die beständige Mahnung des 9. November, dieses Schicksalstages der Deutschen."
1938, vor 80 Jahren, brannten in Deutschland Synagogen. Über 1.400 Synagogen und Beträume wurden verwüstet, etwa 7.500 Geschäfte geplündert. Mehr als 1.300 Menschen starben, Tausende wurden in Konzentrationslager verschleppt.
Merkel und Schuster erinnerten an Opfer der Pogrome
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Pogrome als "wichtige Wegmarke zum Zivilisationsbruch der Schoah". Sie erinnerte mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, vor Religionsvertretern und Politikern in der Synagoge an der Berliner Rykestraße an die Opfer.
Und blickte auf die Zeit vor dem 9. November 1938 mit wachsendem Antisemitismus in den 1920er und 30er Jahren. Das sei wichtig, weil man daraus Lehren ziehen könne, betonte Merkel. Heute werden Synagogen, aber auch Moscheen angegriffen - daran erinnerte Schuster und warnte vor "geistigen" Brandstiftern und solchen, die zur Tat schritten.
"Sie schüren Ängste vor Flüchtlingen. Sie stacheln mit ihrer Wortwahl und überproportionaler Aufmerksamkeit für einzelne Vorfälle die Bürger an. Sie hetzen gegen Asylbewerber, insbesondere gegen Muslime.» Diese Hetze habe eine "Partei, die im Bundestag am ganz äußeren rechten Rand sitzt", perfektioniert. Sie hätten vor nichts Respekt, sagte Schuster, ohne die AfD zu nennen. Deren Fraktion sei als einzige des Bundestages nicht zu dem Gedenken eingeladen worden. Auch Schuster erinnerte an den Mauerfall im Jahr 1989. Damals habe Deutschland "seine Einheit in Freiheit" erlangt. "Es brach friedlich, ohne Gewalt in die gemeinsame Demokratie auf."
Antisemitismusbeauftragter: "Starke Angriffe" auf Erinnerungskultur
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte vor "starken Angriffen" auf die Erinnerungskultur hierzulande. Er kritisierte auf heute.de auch Rechtspopulisten der AfD, die eine "Abwehr der Erinnerung an Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden" unterstützten.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, hatte am Donnerstagabend in Würzburg bereits seine Solidarität mit den Juden unterstrichen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, warb für die Vermittlung von Mitgefühl und Empfindsamkeit.
Einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag von heute.de zufolge sagt fast jeder dritte Befragte (31 Prozent), die Judenfeindlichkeit in Deutschland sei "groß" oder "sehr groß". Laut ZDF-Politbarometer sind 58 Prozent aller Befragten der Meinung, dass es gerade richtig ist, was für die Aufarbeitung und die Erinnerung an den Holocaust getan wird. 14 Prozent sind der Meinung, dass dafür zu viel getan wird - und 26 Prozent meinen "zu wenig".
Von Leticia Witte