Friedrich Merz stellt Asylrecht infrage

Ein altes Fass neu aufgemacht

Friedrich Merz will CDU-Vorsitzender werden. Und tritt eine neue Asyldebatte los. Seine Begründung: Deutschland verhindere mit dem Grundrecht auf Asyl eine europäische Lösung. Er stellt jedoch auch klar, er wolle das Grundrecht nicht infrage stellen.

Autor/in:
Christoph Arens
Friedrich Merz / ©  Jens Büttner (dpa)
Friedrich Merz / © Jens Büttner ( dpa )

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Mit diesem einfachen Satz hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 ein einklagbares Individualrecht auf Asyl geschaffen. Doch was nach Zweitem Weltkrieg und Nazi-Gräueln Konsens war, wird heute immer wieder zum Zankapfel der deutschen Politik.

Am Mittwochabend machte Friedrich Merz, einer der drei Bewerber um das Amt des CDU-Vorsitzenden, dieses alte Fass wieder neu auf: Deutschland sei ein Hemmnis auf dem Weg zu einer europäischen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, begründete er seinen Vorstoß im thüringischen Seebach.

"Europäische Lösung finden"

Die Bundesrepublik sei das einzige Land weltweit, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung habe. Es müsse darüber geredet werden, ob dieses Grundrecht in seiner jetzigen Form fortbestehen könne. Nach viel Kritik stellte er am Donnerstag auf Twitter klar, er wolle das Grundrecht auf Asyl aber nicht infrage stellen, "weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte machen".

Zustimmung kam vom Rivalen um den Parteivorsitz, Jens Spahn (CDU), und dem CSU-Europapolitiker Markus Ferber. Spahn zeigte sich offen für eine neue Debatte: Das Grundrecht auf Asyl sei angesichts zweier Weltkriege eine große Errungenschaft. "Das Problem ist, dass es heute zu oft ausgenutzt wird und zu ungesteuerter Migration führt." Auch Ferber spielte die europäische Karte. "Wenn wir zu einer europäischen Lösung kommen, würde es zum Beispiel bedeuten, dass bei einer Drittstaatenregelung keine individuelle Prüfung mehr stattfinden kann."

Boot voll?

Widerspruch kam von Hilfsorganisationen wie Pro Asyl, dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst, der Caritas sowie der Opposition, aber auch aus der eigenen Partei - etwa von der Konkurrentin um den Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer: "Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl oder eine Einschränkung halte ich mit dem Wesenskern der CDU und dem Erbe von Helmut Kohl für nicht vereinbar", positionierte sie sich in der "Bild"-Zeitung. Aber auch aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik. So bemängelte etwa die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), den Vorstoß.

Hatten in den 1950er und 60er Jahren vor allem Menschen aus dem kommunistisch beherrschten Osteuropa Schutz vor politischer Verfolgung gesucht, beantragten seit den 70er Jahren zunehmend mehr Flüchtlinge aus Asien und Afrika Asyl. Als dann nach dem Fall der Mauer eine starke Zuwanderung aus Osteuropa einsetzte, war für viele Bundesbürger das Boot voll.

Ab 1992 Erfolge rechter Parteien

Rechte Parteien nutzten in den 90er Jahren die Ängste: Die Republikaner erzielten in Baden-Württemberg im April 1992 mehr als zehn Prozent, die DVU in Schleswig-Holstein über sechs Prozent. Schlimmer aber war die Gewalt gegen Ausländer - gegen Asylbewerberheime wie in Rostock, Hoyerswerda und Mölln, aber auch gegen türkischstämmige Menschen wie in Mölln und Solingen.

Die Politik reagierte mit der Verschärfung von Verfahrensvorschriften, wagte sich dann aber auch ans Grundgesetz: Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition aus Union und FDP sowie der SPD-Opposition eine Änderung von Artikel 16. Er wurde durch mehrere Zusätze eingeschränkt - und nach Meinung der Kritiker ausgehöhlt und demontiert.

Reformen in den vergangenen Jahren

Seitdem greift die "Drittstaatenregelung": Wer über ein EU-Land oder ein anderes sicheres Nachbarland einreist, kann abgewiesen werden. Auch durch die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten ging diese Zahl der Asylanträge zunächst stark zurück. 1995 stellten rund 127.000 Menschen Erstanträge, 2007 nur noch rund 19.000. Seitdem stiegen die Zahlen wieder stark an - vor allem wegen Syrien. 2015 registrierten die Behörden 476.649 formelle Asylanträge.

Zwischen 2014 und 2017 gab es deshalb weitere Reformen, die allerdings das Grundgesetz nicht berührten. So wurden in mehreren Asylpaketen der Kreis der sicheren Drittstaaten ausgeweitet, das Ausweisungsrecht verschärft und der Familiennachzug eingeschränkt. Andererseits wurden die Grundleistungen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts an das Hartz-IV-Niveau angepasst, die Integrationskurse ausgebaut und die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert.


Quelle:
KNA