DOMRADIO.DE: Der Bundesparteitag der CDU entscheidet am 7. Dezember in Hamburg über den neuen CDU-Vorsitz. Vorher präsentieren sich die drei Kandidaten auf acht Regionalkonferenzen. Die erste fand am Donnerstagabend in Lübeck statt, mit Teilnehmern aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Im Vorfeld ist oft der Ausdruck "Neuerfindung der CDU" gefallen. Hat man davon in der Halle etwas mitbekommen?
Christoph Strack (Stellvertretender Leiter des Hauptstadtstudios der Deutschen Welle): Das war deutlich zu spüren. Man merkt einfach, dass viele Mitglieder wirklich so etwas empfinden wie einen Neuaufbruch, auch vielleicht einen Schlussstrich. Sie merken, dass diese Personalentscheidung auch so etwas wie eine Richtungsentscheidung ist. Und dass sie - bei aller Zufriedenheit über die politische Lage im Land - doch etwas wollen, das die Partei neu voranbringt.
Es herrschte in der Halle eine Stimmung, die sehr beeindruckend war. Ich habe viele Veranstaltungen im Bereich der Politik mitgemacht. Selten habe ich so etwas erlebt; mit einer Mischung zwischen ernsthafter Stille, Begeisterung, fast auch Rührung. Und das in einer Halle, die wirklich überfüllt war mit 900 Delegierten und vielen Journalistinnen und Journalisten. Das heißt, man merkt, dass diese Partei sich auch auf diesen - nennen wir es einmal - Wettkampf einlässt und dass sie selbst auch gespannt darauf ist, was daraus wird. Das, was die CDU sich vorgenommen hat mit dieser Reihe von acht Veranstaltungen kann funktionieren. Das kann die Partei, unabhängig von der Personalentscheidung, vielleicht auch wieder ein bisschen stärker zusammenführen.
DOMRADIO.DE: Sind wir denn jetzt ein bisschen näher an der Antwort, wer den CDU-Vorsitz übernehmen könnte?
Strack: Da wäre ich zurückhaltend. Die Umfragewerte, die ja dafür sprechen, dass Kramp-Karrenbauer knapp vor Friedrich Merz führt, bestätigen sich so direkt nicht. Man merkt zwar zum Beispiel beim Einzug und beim Betreten der Halle und der Begrüßung, dass Kramp-Karrenbauer und Merz deutlich den stärksten Beifall bekommen. Das konnte man auch nach den jeweils 10-minütigen Reden der drei zu Beginn spüren: Der Beifall bei Kramp-Karrenbauer hatte gut 40 Sekunden, bei Friedrich Merz 30 Sekunden, bei Jens Spahn dann noch 15 Sekunden. Das ist ein deutlicher Unterschied.
Aber im Laufe des Abends machte auch Jens Spahn durchaus noch Punkte. Es ist also nicht so, dass das Rennen gelaufen ist. Die Veranstaltung war deswegen auch gar nicht langweilig. Es ging auch nicht nur jeweils darum, zu schauen: Wer klatscht wo. Ich habe mit mehreren Delegierten gesprochen, die deutlich machten, dass es noch nicht darum ginge, zu sagen: Wir sind für den einen oder die andere.
DOMRADIO.DE: Blicken wir auf den Umgang mit Flüchtlingen: Kanzlerin Merkel hat im Sommer 2015 gesagt "Wir schaffen das". Ihre möglichen Nachfolger beginnen sich davon zu distanzieren. Wie ist das angekommen - auch im Hinblick auf die Frage der Angst vor Antisemitismus, der ja durch Flüchtlinge auch nach Deutschland kommen kann?
Strack: Es war bemerkenswert. Das Los hatte entschieden, dass sich als erste der drei Annegret Kramp-Karrenbauer an die Versammlung wenden sollte. Und sie war bei den einleitenden Worten die einzige, die das Thema Flüchtlinge ansprach und sich da doch überraschend von Angela Merkel und dem bisherigen Kurs distanzierte. Zwar hatte sie auch den Ansatz von Merkel, zu sagen: "Wir dürfen nicht ewig darüber reden", denn - das teilen auch viele Delegierte - dieses Thema könnte die CDU zerreißen, wie das Thema Hartz IV die SPD bis heute beschäftigt und zerreißt. Sie sagte also, wir müssten im Frühjahr dazu kommen, dass wir grundlegend schauen "dass das, was im Herbst 2015 passiert ist, nie wieder so passieren darf." Sie nahm da vielleicht auch den beiden Konkurrenten ein bisschen den Wind aus den Segeln, die aber gar nicht darauf eingingen.
Im Laufe des Abends wurde dann allerdings schon deutlich, dass dieses Grundthema "Sicherheit im Inland" und "Durchsetzung des Rechtsstaats" alle drei tatsächlich beschäftigt. Merz und Spahn waren da deutlicher als die Generalsekretärin. Aber es ist wohl so, dass die Basis da vielleicht noch mehr hören will oder noch mehr erwartete.
Der letzte Fragesteller kam tatsächlich darauf, dass mit der Flüchtlingswelle des Jahres 2015 - es war ja keine Grenzöffnung, sondern lediglich die Erlaubnis, dass Menschen ohne Kontrollen nach Deutschland kommen durften, was vorher ja de facto auch schon gegeben war - doch auch massiv Antisemitismus nach Deutschland gekommen sei.
Das haben alle drei Kandidaten zwar nicht relativiert, aber doch eingeordneten. Und gerade Friedrich Merz machte deutlich, dass in Deutschland Antisemitismus ebenso wie Fremdenfeindlichkeit in keiner Weise respektiert werden könne. Er brachte explizit den Bezug darauf, dass Deutschland von seiner Struktur und Geschichte her christlich-jüdisch-abendländisch geprägt sei. Und dass das der Rahmen sei, an dem sich jeder, der in Deutschland leben wolle, halten müsse. Das seien Eckpfosten, an denen nicht zu rütteln sei. Und es sei nun eine Aufgabe der Bildung und aller, die in diesem Bereich tätig seien, diese Werte zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass dieser Ansatz Deutschland auch weiterhin prägen solle.
Ganz zum Schluss hat dann Jens Spahn, der das Thema Flüchtlinge während der vergangenen Tage auch mit deutlicher Kritik an Merkel immer wieder angerissen hatte, deutlich gemacht, was das für ihn bedeutet: Ihm sei die Zahl von nun möglichen 200.000 Zuwanderern oder Flüchtlingen, die Jahr für Jahr nach Deutschland kommen dürften, viel zu hoch. Denn das Land werde das nicht verkraften. Er verwies darauf, dass jeder Lebenswandel und jede Lebensform weiterhin in Deutschland möglich sein müsse, ohne, dass Menschen Angst haben müssten - seien es Juden, die Angst vor Antisemitismus hätten oder andere Minderheiten, die sich in Deutschland nicht mehr wohlfühlten. Dafür müsse der Staat Rechnung tragen.
Spahn verwies auch darauf, dass er homosexuell sei und entsprechend auch Erfahrungen habe mit Ausgrenzung oder mit Aggression. Es war also nicht nur eine Frage der inneren Sicherheit, die da angesprochen wurde. Sondern man merkte auch, dass die Frage einer offenen Gesellschaft und die Frage der Tradition bei allen dreien mitklang.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.