DOMRADIO.DE: Eigentlich gäbe es doch nichts daran auszusetzen: Menschen, die vielleicht an einer Erbkrankheit oder einer Immunschwäche leiden könnten, wird Gesundheit beschert. Das ist doch nichts Schlimmes, oder?
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Professor für Theologische Ethik und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Das ist überhaupt nichts Schlimmes. Das Ziel ist durchaus löblich. Allerdings sind die gewählten Mittel zur Erreichung eines solchen grundsätzlich guten Zieles völlig inakzeptabel. Zumindest das, was wir jetzt als Mutmassungen aus China hören.
Von einem christlichen Standpunkt aus betrachtet, sind nämlich Keimbahn-Therapien grundsätzlich nicht verwerflich, wenn sie zur Verhinderung eines schweren Übels geeignet sind. Das setzt aber drei Dinge voraus.
Erstens: Es gibt keine risikoärmeren Therapieformen. Das ist im vorliegenden Fall durchaus möglich.
Zweitens: Die eingesetzte Technik muss im Rahmen umfangreicher Forschungen getestet sein und muss die Risiken, die mit einer solchen Technik verbunden sind, minimieren auf das, was üblicherweise akzeptabel ist.
Drittens: Die Form dieser Forschung darf nicht, wie im Vorfeld offenbar geschehen, Embryonenforschung beinhalten. Will sagen, dass menschliches Leben schon zu Forschungszwecken gebraucht wird und dann abgetötet wird.
Und diese drei Voraussetzungen sind – nach dem derzeitigen Stand der Berichte aus China – dort nicht erfüllt gewesen.
DOMRADIO.DE: Sprich, der Mensch sollte nicht zum Versuchskaninchen gemacht werden. Denn nach katholischer Überzeugung ist der Mensch ja schon vom Moment der Verschmelzung von Spermium und Eizelle ein Mensch, an dem die Wissenschaft herumdoktert, oder?
Lob-Hüdepohl: So ist es. Das ist ganz wichtig für eine Position aus der Perspektive des Christentums. Gott sei Dank können wir davon ausgehen, dass derzeit das deutsche Embryonenschutzgesetz genau diese Position sich zu eigen gemacht hat. Die ist nicht unumstritten. Das müssen wir sehr deutlich sagen. Auch im Deutschen Ethikrat ist diese Position alles andere als unumstritten.
Aber ich bin der Auffassung, dass sich der Mensch immer als vollwertiger Mensch entwickelt. Also vom ersten Augenblick an fällt der Mensch unter den Menschenwürdeschutz des Grundgesetzes. Das setzt voraus, dass die Forschung keine Embryonen verbrauchen sollte.
Im Rahmen der Forschung, die zu einer möglichen klinischen Anwendung führt, die ja durchaus sinnvoll sein kann, sollte allerdings zweifelsfrei gesichert sein, dass Nebeneffekte, sogenannte Off-Target-Effekte (Anmerkung d. Red.: Bei der Verwendung einer Genschere kann es zu Fehlschnitten kommen. Solche Off-Target-Effekte können unter anderem Mutationen in Erbgutbausteinen verursachen.) ausgeschlossen werden.
Das muss sehr sauber erforscht werden. Davon ist die Gentechnik noch weit entfernt.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade gesagt, unter gewissen Umständen könnten Sie sich das vorstellen. Was wären das für Umstände?
Lob-Hüdepohl: Wenn es sicher ist, dass wir durch Genveränderungen das Risiko an einer Erbkrankheit zu erkranken, substantiell verringern können, dann gibt es bestimmte Fallkonstellationen, die akzeptabel sind.
Zum Beispiel bei Mukoviszidose wäre es im Regelfall so, dass man Embryonen im Rahmen der In-vitro-Fertilisation diagnostizieren muss, bevor man sie implantiert. Und dann würde man die gesunden, also die nicht risikobehafteten Embryonen verwerfen und dann bei einem risikobehafteten Embryo eine Keimbahn-Therapie zur Anwendung bringen. Das ist natürlich völlig abwegig. Wer würde ein sogenanntes gesundes Embryo verwerfen, um an einem risikobehafteten Embryo eine entsprechende Gentherapie zur Anwendung zu bringen?
Diese Fallkonstellation ist insofern auszuschließen, weil es heute viele risikoärmere Möglichkeiten gibt, das Risiko an einer Erbkrankheit zu erkranken, auszuschalten.
Und ich möchte folgendes zu bedenken geben: Wer maßt sich eigentlich an oder kann sich als Eltern anmaßen, über die Ausstattung des Kindes in einer Weise zu bestimmen, dass dieses Kind keinerlei Möglichkeiten hat, sich zu den Veränderungen, die an ihm vorgenommen wurden, zu "äußern".
Ein ganz wichtiges Argument, was der Philisoph Jürgen Habermas vor vielen Jahren schon ins Feld geführt hat - und da merkt man, dass christliches Gedankengut auch in säkularer Ethik durchaus präsent ist: Wir würden die Gleichheitsgrundsätze zwischen den jetzt lebenden Eltern und den zukünftig lebenden Kindern schwerwiegend zerstören. Es sei denn, dass wir unterstellen könnten, dass die zukünftigen Kinder einverstanden damit wären, wenn sie in dieser Weise verändert wären. Das können wir kaum antizipieren, deshalb verbietet es sich eigentlich, dass wir so schwerwiegende Eingriffe in die Keimbahn und damit in die Zukunft zukünftiger Generationen vornehmen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland ist es verboten, das Erbgut von Embryonen zu verändern. Auch im Ethikrat ist das Ganze umstritten. Das ändert nichts daran, was in China geforscht und durchgesetzt wird. Daher gibt es Experten, die jetzt eine internationale Regelung fordern. Ist das was, was kommen muss?
Lob-Hüdepohl: Ja, selbstverständlich. Ob es dann auch tatsächlich durchgesetzt werden kann, ist eine zweite Frage. Aber der Deutsche Ethikrat, dem ich selbst angehöre, ist über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg unisono der Auffassung, dass eigentlich eine internationale Regelung, die auch verbindlich ist, eingeführt werden muss.
Ich würde mir zwar wünschen, dass es zu einem Stop weitergehender Forschung kommt, bevor nicht alle rechtlichen wie ethischen Zweifelsfälle diskutiert sind. Aber ich sehe das allerdings sehr skeptisch, weil wie im Fall China oder auch in anderen Fällen solche internationalen Vereinbarungen schnell unterlaufen werden können, weil sie oftmals in den entsprechenden Ländern gar nicht kontrolliert werden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.