Der australische Erzbischof Philip Wilson im am Donnerstag im Berufungsverfahren wegen der Vertuschung von Missbrauchsfällen freigesprochen worden. Der frühere Erzbischof von Adelaide verfolgte die Urteilsverkündung im Newcastle per Internet-Live-Stream im Haus seiner Schwester, wo er seit August im Hausarrest seine zwölfmonatige Haftstrafe verbrachte.
Im Mai war Wilson für schuldig befunden worden, als junger Priester im Bistum Newcastle sexuellen Missbrauch von Jungen durch den Priester James Fletcher vertuscht zu haben. In der Urteilsbegründung hieß es seinerzeit, Wilsons Hauptmotiv dabei sei der Schutz der Kirche gewesen.
"Ehrliche Zeugen"
Roy Ellis, Richter im Berufungsverfahren, sah den Fall nun völlig anders. Die Staatsanwaltschaft, so Ellis, habe Wilsons Schuld nicht zweifelsfrei nachgewiesen, berichtete der "Sydney Morning Herald".
Das stieß auf wütenden Protest der Missbrauchsopfer. Richter Ellis nannte zwar den Hauptbelastungszeugen Peter Creigh einen "ehrlichen Zeugen". Das führe aber "nicht automatisch dazu, dass mich seine Aussage, er habe 1976 Philip Wilson über den Missbrauch durch James Fletcher informiert, ohne jeden Zweifel zufriedenstellt".
"Institutionelle moralischen Verfehlungen"
Die Kirche, betonte der Richter nachdrücklich, müsse sich zwar vielen Fragen zu ihrem "historischen Ansatz des Selbstschutzes" im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch stellen. "Es ist aber nicht meine Aufgabe, durch einen Schuldspruch Wilsons die Kirche für ihre institutionellen moralischen Verfehlungen oder die Sünden des verstorbenen James Fletcher zu bestrafen, nur weil er katholischer Priester ist."
Ellis räumte ein, durch den medialen Druck auf die Justiz sei es für Richter bei Missbrauchsverfahren schwierig, die Rechte der Angeklagten zu wahren. Die Medien hätten zwar eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung der "moralisch verwerflichen Taten in der katholischen Kirche" gespielt, betonte er. Bei juristischen Verfahren gegen mutmaßliche Täter aber seien sie auch der "Elefant im Raum" – also ein Störfaktor, gegen den man kaum etwas unternehmen kann. Ellis wörtlich: "Das kann vom Gericht als Druck empfunden werden, ein Urteil zu fällen, das im Einklang mit der öffentlichen Meinung statt mit den Gesetzen steht." Die Gesetze verlangten von Gerichten, zu einem sachgemäßen Urteil zu gelangen.
Zeitpunkt der Vertuschung
Ähnliche Überlegungen haben im Missbrauchsverfahren gegen den australischen Kurienkardinal George Pell in Melbourne zu einem gerichtlich verhängten Embargo jeglicher Medienberichterstattung geführt. Dabei ist der Fall noch weit medienträchtiger als der Wilsons. Der 77-jährige Pell, derzeit beurlaubter Finanzminister des Vatikan, steht vor Gericht, weil ihm selbst sexueller Missbrauch vorgeworfen wird.
Den medialen Druck bei Missbrauchsverfahren kritisierte damals auch der Theologe an der Katholischen Universität Australiens, Neil Ormerod. Wilson, so Ormerod im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), sei zum Zeitpunkt der Vertuschung vor rund 40 Jahren ein junger, unerfahrener Priester gewesen. In den Medien und der Öffentlichkeit aber werde der Fall anders wahrgenommen. "Für sie steht ein Erzbischof vor Gericht, der heute seine Autorität missbraucht hat."
Stoff für Debatten
Der Urteilsspruch von Richter Ellis liefert nun Stoff für neuerliche Debatten in Medien, Politik, Gesellschaft und Kirche. Sein Amt als Erzbischof hatte der an Alzheimer erkrankte Wilson bereits nach seiner Verurteilung ruhen lassen. Ende Juli trat er dann auf Druck des damaligen Premierministers Malcolm Turnbull und der Medienöffentlichkeit als Erzbischof von Adelaide zurück. Ursprünglich wollte hatte er erklärtermaßen bis zum Abschluss der Berufung im Amt bleiben wollen.
Nach Wilsons Rücktritt übernahm Generalvikar Philip Marshall die Interimsleitung Erzdiözese. Auf den Freispruch des Erzbischofs reagierte er diplomatisch: Die Kirche müsse nun erst einmal "die Bedeutung dieses Ergebnisses prüfen".